: Wenig Kohle im Revier
Ruhrpott: Altes stirbt schneller, als Neues wächst ■ Aus Bochum Walter Jakobs
Rußgeschwärzte Gesichter protestierender Bergleute, Stahlkocher, in deren silbernen Schutzanzügen sich das rotgelb glühende Roheisen spiegelt – solche Bilder schaffen allemal den Sprung in die „Tagesschau“. Da kann sich der Kommunalverband Ruhr mit seiner Imagekampagne „Das Ruhrgebiet – ein starkes Stück Deutschland“ noch so abstrampeln, um die Viefalt der Region darzustellen. Wenn vom Ruhrpott die Rede ist, denkt die Nation an Kohle und Stahl. Mit der Wirklichkeit hat dieses Bild indes schon lange nichts mehr zu tun. 1957 förderten im engeren Revier noch 560.000 Bergleute aus über hundert Zechen 123 Millionen Tonnen Steinkohle. Inzwischen holen nur noch knapp 80.000 Kumpel pro Jahr rund 45 Millionen Tonnen aus den 13 Pütts des Reviers. Beim Stahl stellt sich das Schrumpfen ähnlich dar. 412.000 Stahlarbeiter kochten 1957 noch Stahl im Revier. Kaum mehr als 70.000 Jobs sind geblieben.
Abgestürzt ist die Region gleichwohl nicht. Neue Beschäftigungsmöglichkeiten – allein im Dienstleistungsgewerbe entstanden 600.000 neue Jobs – verhinderten den Sturzflug. Mitte 1992 verdienten insgesamt 870.000 Menschen ihren Lohn im Dienstleistungssektor, in der verarbeitenden Industrie dagegen nur 750.000.
Daß dieser gewaltige Wandel in den vergangenen Jahrzehnten ohne größere Brüche und Revolten über die Bühne ging, hat selbst Kanzler Helmut Kohl beeindruckt. „Was im Ruhrgebiet geleistet wurde“, so des Kanzlers Lob, „ist ein Vorbild für die neuen Bundesländer“. Das Copyright für diese Erfolgsstory beanspruchen nicht zuletzt die in NRW seit 26 Jahren regierenden Sozialdemokraten. Wie „kaum eine andere Industrieregion der Welt“, so verkündet Ministerpräsident Johannes Rau bei jeder Gelegenheit voller Stolz, habe sich das Revier gewandelt. Mit zahlreichen Programmen suchte die Düsseldorfer Landesregierung den Prozeß zu steuern. Es begann 1968 mit dem 3,7 Milliarden Mark schweren „Entwicklungsprogramm Ruhr“. 1979 folgte das „Aktionsprogramm Ruhr“ (8 Mrd. DM). Daran schloß sich 1987 die „Zukunftsinitiative Montanregionen“ (2 Mrd. DM) an. Was diese und weitere milliardenträchtige Programme letztlich bewirkten, weiß niemand zu beziffern. Nur soviel ist gewiß: Der Anschluß an die anderen Regionen Westdeutschlands steht bisher noch aus.
Gerade die aktuelle Rezession macht das deutlich. Dem Revier geht es nach wie vor wesentlich schlechter als anderen Ballungszentren in Westdeutschland. Während die Arbeitslosigkeit in den alten Ländern durchschnittlich auf 7,6 Prozent kletterte, sind im Revier offiziell 12,4 Prozent ohne Job. 252.110 Menschen waren dort im Oktober arbeitslos gemeldet – die höchste Zahl für diesen Monat seit Kriegsende. Während die Zahl der Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen insgesamt von 1980 bis Mitte 1992 um gut 570.000 auf 6.091.800 wuchs, ergab sich für das Revier auch in diesem Zeitraum eine Negativbilanz. Von 1.658.000 (1980) Arbeitsplätzen gingen die Beschäftigungsverhältnisse trotz konjunkturellen Aufschwungs auf 1.620.000 (Mitte 1992) zurück. In diesen zwölf Jahren baute die Montanindustrie 111.000 Arbeitsplätze ab. Weitere 62.000 gingen im produzierenden Gewerbe verloren. Die aktuelle Wirtschaftskrise kostete seit Mitte 1992 weitere 50.000 Jobs in der Region.
Regionalförderung kann Rezession nicht auffangen
Bei solchen Einbrüchen bleiben die klassischen Instrumente einer regionalen Wirtschaftsförderungspolitik weitgehend stumpf, verblaßt selbst der Glanz erfolgreicher Projekte – wie etwa in Dortmund. Bundesweit gilt das dortige Technologie-Zentrum mit dem angeschlossenen Technologiepark als besonders gelungenes Beispiel innovativer Strukturpolitik. Die in unmittelbarer Nähe zur Dortmunder Uni angesiedelten neuen Unternehmen brachten zwar rund 3.000 hochqualifizierte Jobs, doch die Verluste in der Montanindustrie konnten dadurch nicht annähernd aufgefangen werden.
Insgesamt weist der Forschungs- und Dienstleistungsbereich im Pott trotz der Neugründung zahlreicher Unis und Hochschulen seit den 60er Jahren nach wie vor gravierende Schwächen auf. Das jedenfalls geht aus einer Studie des Kasseler Wirtschaftsprofessors Hans-Friedrich Eckey hervor. Danach hat sich die Forschungsintensität im Ruhrgebiet im Vergleich zu anderen Regionen Westdeutschlands sogar verschlechtert. 1991 flossen aus dem Etat des Bundesforschungsministeriums in das Revier nur noch 87 Mark Projektfördermittel je Beschäftigtem gegenüber 180 Mark in den anderen Verdichtungsräumen. Auch wenn die Aussagekraft solcher Zahlen umstritten ist, wer den vielgepriesenen Dienstleistungssektor im Revier unter die Lupe nimmt, stößt schnell auf Nachholbedarf. Wirtschafts- und rechtsberatende Berufe, Ingenieur- und Entwicklungsdienstleistungen sind laut Karl Pröbsting, Präsident des Landesarbeitsamtes, „im Revier nicht so zahlreich vertreten, wie sie für eine vorwärts gerichtete moderne Industrie- und Produktionslandschaft notwendig sind“. Für das Zurückbleiben des Reviers machen Industrie und Teile der Wissenschaft auch „die unzureichende Verkehrsinfrastruktur und fehlende Gewerbeflächen“ verantwortlich, so Heinz Schrumpf vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). Das sieht der Minister für Stadtentwicklung und Verkehr, Josef Kniola, allerdings anders: „Vom Flächenengpaß in NRW kann keine Rede sein. Was fehlt, sind Investoren.“ Tatsächlich hat die von der Landesregierung gegründete Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) von 2.000 aufgekauften Hektar alter Industrieflächen schon 600 weiterverkauft. Beim Engpaß Verkehr steht die Lösung indes noch aus. Der sich quer durchs Revier ziehende Ruhrschnellweg heißt im Volksmund wegen täglicher Staus längst „Ruhrschleichweg“. Der jüngste Vorschlag zur Lösung des Problems stammt von der Ruhrkohle AG: Das Unternehmen wirbt für einen privat finanzierten, 36 Kilometer langen Tunnel von Dortmund bis Mülheim. Kostenpunkt: 10 Milliarden Mark. Während Verkehrsminister Kniola und die Düsseldorfer Grünen davon wenig halten, zeigte sich Bodo Hombach, Ex-Wahlkampfmanager von Johannes Rau, „geradezu beglückt, daß jemand in dieser trüben Zeit den Mut hat, große Dinge anzupacken“. Liegt die Zukunft des Reviers doch unter Tage?
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