: „Carlos Marx“ ist nicht länger opportun
Deutsches Krankenhaus in Managua wurde umbenannt / Bonn verärgert über Broschüre ■ Aus Managua Ralf Leonhard
Ignoranz, Arroganz und Unterwürfigkeit haben bei der seltsamen Wiedertaufe eines Krankenhauses in Nicaraguas Hauptstadt Managua Pate gestanden. Präsidentin Violeta Chamorro war eigentlich nur gekommen, um sich im Rahmen einer „sozialen Runde“ nach dem Funktionieren der Gesundheitsversorgung zu erkundigen. Das dachten zumindest die Mitarbeiter des Carlos-Marx-Hospitals, die letzte Woche aus allen Wolken fielen, als die Präsidentin ihr Dekret verlas: „In Anerkennung der humanitären Solidarität und der Bemühungen, unseren Nationen Versöhnung und Einheit zu verschaffen, hat der Präsident der Republik beschlossen, das mit der Hilfe des deutschen Volkes aufgebaute Krankenhaus umzutaufen.“ Weder der nicaraguanische Direktor noch das deutsche Team inklusive Teamleiter waren informiert worden, daß ihre Arbeitsstätte ab sofort „Hospital Aleman–Nicaraguense“ heißen würde.
Ein Affront von Chamorro
Einige quittierten den Affront mit ostentativem Verlassen der Veranstaltung. Gesundheitsministerin Martha Palacios wußte erst seit dem Vorabend davon. Chamorro, die von Karl Marx nicht viel mehr weiß, als daß er als nicht mehr zeitgemäß betrachtet wird, hat einmal mehr für die Bekanntgabe einer politisch heiklen Entscheidung den Hinterhalt gewählt. Für das Sensationsblatt El Nuevo Diario, das den staatssozialistischen Systemen noch immer nachtrauert, sind „in der Präsidentenkanzlei die Skinheads“ eingezogen.
Daß das größte Entwicklungsprojekt der DDR, das nach der Vereinigung von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) übernommen wurde, umgetauft werden sollte, war schon längere Zeit bekannt. Nachdem schon das ebenfalls von der DDR geerbte Ernst- Thälmann-Institut für technische Berufe einen unverfänglicheren Namen verpaßt bekam, hatte das Bonner Bundesministerium für technische Zusammenarbeit seit einigen Monaten verstärkt Druck gemacht, doch endlich die ideologischen Altlasten auch bei dem Paradeprojekt auf dem Gesundheitssektor zu tilgen.
Dabei hatte BMZ-Minister Carl-Dieter Spranger letztes Jahr bei einem Besuch in Nicaragua versichert, er könne mit dem Namen leben. Der damalige Gesundheitsminister Ernesto Salmerón hatte nämlich in vorauseilendem Gehorsam die Umbenennung in Robert-Koch-Krankenhaus angeboten. Andere meinten, man solle es einfach „Hospital Aleman“ nennen. Inzwischen dürfte Spranger allerdings von seinen Parteifreunden gedrängt worden sein, daß der alte Name nicht länger opportun sei. Denn die Umtaufe wurde zwischen Spranger und Nicaraguas Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Erwin Krüger, irgendwo am Rande einer Weltbankkonferenz ausgekungelt.
Das Carlos-Marx-Krankenhaus war ein Geschenk Erich Honeckers an Daniel Ortega, das ab 1984 nach und nach angeliefert wurde. Treibende Kraft war die FDJ, die Materialien und Medikamente zusammenschnorrte und nach Managua expedierte. Das Krankenhaus und die Arbeit der deutschen Mediziner genossen schon zu DDR-Zeiten einen hervorragenden Ruf. „Carlos Marx“ gilt also in der Bevölkerung Managuas weniger als Vorreiter einer unmodernen Weltanschauung, sondern als Prädikat für exzellente Gesundheitsversorgung.
Die plötzliche Eile mit der Umtaufe hängt möglicherweise mit dem Wirbel zusammen, den eine im Auftrag der GTZ in spanischer Sprache erstellte Broschüre des Carlos-Marx-Hospitals im BMZ gemacht hatte. Die von einem österreichischen Journalisten verfaßte Selbstdarstellung des Projekts hätte nach Meinung der Bürokraten in Bonn die Rolle der DDR zu positiv dargestellt. Und ein Kapitel, das dem „berühmten Denker“ gewidmet ist und auf die Polemik um den Namen eingeht, hätte in der Broschüre überhaupt nichts verloren. Zu allem Überfluß ist darin auch noch Direktor Freddy Meynard neben einer hölzernen Büste des bärtigen Philosophen abgebildet.
Jetzt bleibt nur abzuwarten, ob Chamorro mit ihrer Unterwürfigkeit unter das Diktat aus Bonn auch wirklich mit verstärkter Wirtschaftshilfe des zweitgrößten Geberlandes belohnt wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen