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Spekulation um den Knochen

■ Beim zweiten Knochengipfel im Prenzlauer Berg regten sich die ersten Verlustängste der bürgerlichen Klasse / Vorläufige Bilanz: Knochen wird gehortet

Während in Kreuzberg zur Zeit vor allem um „Klasse gegen Klasse“ spekuliert wird, tut man selbiges im Prenzlauer Berg nunmehr in der vierten Woche mit dem Knochen. Zunächst ideologisch: „Das mit dem Schwundgeld habt ihr doch nicht ernst gemeint“, fragte unsicher eine offenbar kunstbeflissene Dame. „Für mich“, gab sie zu bedenken, „ist der Knochen nicht politisch, sondern ein sinnlicher Kommentar zum Phänomen des digitalen Geldes.“ Weniger sicher waren sich da zwei Journalistinnen von DM und Wirtschaftswoche. Ihnen ging es nicht um Ästhetik, sondern ans Eingemachte: „Wollt ihr der Frau das Geld etwa wegnehmen“, tönte es ängstlich aus der „Neoklassikerecke“, als die Rede auf „Frau Quandt“ kam, jene Erbin von Horten, die täglich allein aus ihren Zinsen 650.000 Mark Gewinn macht. „Wir wollen nur nicht, daß andere für ihre Zinserträge bezahlen“, so die Antwort, indes die kunsbeflissene Dame darob sinnierte, wie man denn Frau Horten davon überzeugen könne, ihr Geld zu reinvestieren.

Über Geld wird wieder geredet. Am Tresen, an der Straßenecke, vor allem aber in der Galerie „O zwei“ in der Oderberger Straße. Dort fand am Mittwoch abend der zweite Knochengipfel um die Zukunft des Prenzelberger Schwundgelds statt. Um es vorwegzunehmen: Ob die 100 mal 55 Scheine bekannter wie unbekannter Künstler nun das Signal gaben für eine neue Währungsutopie im Jahr drei der zereinten Republik oder jene Signale lediglich auf dem Kunstmarkt gehört werden, blieb auch an diesem Mittwoch offen – und wird es wohl immer bleiben. Einfacher als die Zukunft ist es da schon, die Vergangenheit zu bemühen. So erinnerte Klaus Schmitt, allseits präsenter Finanzanarch, der derzeit seinen zweiten Frühling erlebt, an die Debatte um den Internationalen Währungsfonds (IWF) im Jahre 1944. Keynes' Vorschlag einer neuen Währung, mit der der Zinsbelastung der Agrarländer begegnet werden und damit eine ausgeglichene Handelsbilanz geschaffen werden sollte, sei selbst von Großbritannien unterstützt worden. „Und was tat die Welt“, tönte es aus der Runde. Antwort von ganz hinten: „Sie entschied sich für den Dollar.“

Daß sich der Prenzlauer Berg für die D-Mark entschieden hat, war das eigentlich Traurige an diesem Abend und mithin Teil zwei der Knochenspekulation: Horten zum Zwecke des Gewinns. „Zwar ist bereits ein Drittel der etwa 100.000 Knochenscheine verkauft“, bilanzierte Bert Papenfuß, Mitinitiator des Projekts, „aber davon sind nur etwa 15 bis 20 Prozent im Umlauf.“ Der Rest, meinte er grinsend, werde wohl gehortet werden. „Nicht im Sinne des Schwundgelds“, urteilte Klaus Schmitt.

Ein anderer: „So ist das bei freien Geldmärkten.“ Und Papenfuß: „Die spekulieren auf den Kunstmarkt.“ Papenfuß indes spekuliert auf neue Anregungen. Demnächst wird er nach Wörgl reisen, um die Überreste des dortigen Schwundgeldexperiments vor Ort in Augenschein zu nehmen.“ Uwe Rada

Am kommenden Mittwoch, 20 Uhr in der Galerie „O zwei“ in der Oderberger Straße 2 hält Helmut Kreutz einen Diavortrag über den Zins. Am folgenden Mittwoch spricht Uwe Gottschalk über bargeldlosen Tauschverkehr.

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