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Fünfter Haftbefehl im Kaindl-Mord erlassen

■ Kritik von Verteidigern am bisherigen Verhalten der Staatsanwaltschaft / Offenbarte sich einer der Verdächtigen?

Das Verhaftungsroulette im Fall Kaindl dreht sich weiter: Am Donnerstag wurde ein weiterer Tatverdächtiger dem Haftrichter vorgeführt. Wie in den vorangegangenen vier Fällen lautet der Vorwurf auch hier auf versuchten und vollendeten Mord sowie vollendete Körperverletzung, gab die Justizpressestelle gestern bekannt. Gemeinsam sollen die mutmaßlichen Täter am 4. April vergangenen Jahres an einem Überfall auf ein China-Restaurant in Neukölln beteiligt gewesen sein, bei dem der Funktionär der rechtsextremen „Deutschen Liga für Volk und Heimat“, Gerhard Kaindl, erstochen und ein weiterer Beteiligter durch Messerstiche schwer verletzt wurde.

Kritik äußerte unterdessen der Verteidiger eines der Betroffenen an der Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft. Über zwei Wochen nach den ersten Verhaftungen stehe eine Akteneinsicht aus. „Solange die Ermittlungsbehörden nicht offenlegen, was den Beschuldigten vorgeworfen wird, können sie sich überhaupt nicht wehren“, erklärte gestern Rechtsanwalt Christoph Kliesing gegenüber der taz. Es sei „fatal und offensichtlich rechtswidrig“, daß den Verteidigern „pauschal“ die 18 Aktenbände aus den fast zweijährigen Ermittlungen vorenthalten werden. Demgegenüber verwies gestern die Sprecherin der Justizpressestelle, Uta Fölster, auf Paragraph 147 der Strafprozeßordnung, wonach die Staatsanwaltschaft in einem laufenden Ermittlungsverfahren die Einsicht in die Akten oder einzelne Aktenstücke verwehren kann, wenn sie den „Untersuchungszweck gefährdet“.

Bei den ersten Verhaftungen Mitte November konnten sich die Behörden offenbar auf die Aussage eines Tatbeteiligten stützen. Nach Angaben von Kliesing hat einer der Verhafteten, ein türkischer Jugendlicher, durch „umfangreiche Aussagen beim polizeilichen Staatsschutz“ die jüngsten Ermittlungen ausgelöst. Wie den Anwälten beim Haftprüfungstermin am vergangenen Dienstag mitgeteilt wurde, soll er den Ermittlungsbehörden seine unmittelbare Beteiligung am Angriff im China-Restaurant gestanden haben. Unklar bleiben allerdings die Umstände, die zur Aussage des Betroffenen führten. „Wir wissen weder etwas über seine Motivation noch darüber, ob er freiwillig ausgesagt hat oder vom Staatsschutz geholt wurde“, so Kliesing weiter.

Ein Unterstützerkreis hat den Ermittlungsbehörden inzwischen vorgeworfen, mit „Schnüffelei und wahlloser Gewalt“ bei der Suche nach weiteren Tatverdächtigen vorzugehen. Die „Erkenntnislage“ sei „unklar“. So gingen Beamte in Zivil mit Fotomappen durch Kneipen, damit Gäste die Abgebildeten identifizieren. Offenbar gehen die Behörden davon aus, daß bis zu 14 Täter am Kaindl-Mord beteiligt waren (siehe auch taz vom 20.11.). Aus Anlaß der Verhaftungen ruft der Unterstützerkreis an diesem Sonntag zu Kundgebungen vor den Gefängnissen in Plötzensee (13 Uhr) und Moabit (15 Uhr) auf. Severin Weiland

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