■ Vorlauf
: Ein Stück vom Paradies

Samstag, 20.15 Uhr, 3sat

„Engel leben nicht“, meinte mein kleiner Sohn neulich, „Engel haben Flügel.“ Man muß ihn in Schutz nehmen: Er hat Wim Wenders' Filme noch nicht sehen dürfen. Wie er wohl Itzik Mangers Geschichte „Das Buch vom Paradies“ finden würde? Dessen Engel sind nämlich ihrer Flügel beraubt, weil der König im Paradies fürchtet, sie könnten auf und davon fliegen. Theatrale Himmelsqualen. Einer aber erlöst sie, der polnischer Theater- und bildende Künstler Andrej Woron, der diese ganz und gar unchristliche Paradiesgeschichte aus den dreißiger Jahren in seinem Berliner Theater in eine bizarre Bilderwelt mit Musik und Jahrmarkttrödel verwandelt hat.

Fernsehaufzeichnungen von Theaterinszenierungen gehören meist zur langweiligen Hausmannskost, die man höchstens völlig verblendeten Kritikern als himmlisches Mahl vorsetzen kann. Eine Redaktionsgruppe von 3sat beschreitet seit einiger Zeit neue Wege – und, siehe da, „Ein Stück vom Paradies“ öffnet sich zumindest spaltweise dem fremden Medium. Für die Fernsehfassung wurde eigens eine Rahmenhandlung entwickelt: Der Engel Bernhard Lucas Zuschlag, der einst mit einem Riesenhammer die Engel ins Diesseits und damit in die Endlichkeit befördern konnte, treibt sich auf Erden herum (da hat aber jemand Wenders gesehen!) und erzählt stückweise die Geschichte der zwar vergnügten, aber flügellosen Engel.

Interessanterweise sind die Theaterszenen den hinzugefilmten hier himmelweit überlegen: Durch eine ausgezeichnete Lichtchoreographie und adäquate Kameraführung, die die grellen, fast in Stummfilmmanier agierenden Gestalten ins rechte Licht und in die richtigen Winkel rückt. Dagegen drosselt das Hinzuerfundene immer wieder den Rhythmus dieses theatralischen Bilderbogens, der sich in Jahrmarktmanier schnell dreht und drehen muß. Auf Jahrmärkten, das weiß mein Sohn, gibt es rot glasierte Paradiesäpfel und einen angetrunkenen Hau-den- Lukas, der erklärt, warum manch Neugeborenes mit einem Nasenstüber zur Welt kommt. Eigentlich waren wir also alle mal Engel, oder?Sabine Seifert