: Staatstragende Schuhe und docmäßige Regenmäntel Von Ralf Sotscheck
Der Skinhead starrte den Schuhverkäufer in dem kleinen Laden im Londoner Stadtteil Brixton entsetzt an. „Sie haben eine ausgezeichnete Wahl getroffen, mein Herr“, hatte der ihm gerade zu einem Paar ochsenblutfarbigen Vierzehnloch-Doc-Martens gratuliert. „Dieser Schuh trägt das Gütesiegel der Königin.“ Daraufhin versuchte der Skin vermutlich, sich die Queen mit kahlem Kopf und schweren Stiefeln vorzustellen. „Willste mich verarschen“, blaffte er den Angestellten an, der verblüffende Ähnlichkeit mit dem Fernsehschuhverkäufer Al Bundy hatte. Der nahm noch mal seinen ganzen Mut zusammen: „Aber nein, mein Herr, das würde ich mir nie erlauben. Die Königin hat der Schuhfabrik in diesem Jahr wirklich einen Orden wegen hervorragender Leistungen auf dem Exportmarkt verliehen.“
Er sagte die Wahrheit: Die Firma Griggs, die seit 1959 im Besitz der Lizenz für die Docs ist, gehörte im Frühjahr zu den gut hundert Firmen, die von Queen Elizabeth dafür geehrt worden sind, weil sie die marode britische Außenhandelsbilanz ein wenig freundlicher gestaltet haben. Zu den faszinierendsten Produkten, die das königliche Wohlwollen erregten, gehörten doppelt knusprige Pizzaböden nach kanadischem Rezept, Schnellverschlüsse für Damenunterwäsche, Sonderanfertigungen von Schneiderpuppen für den japanischen Markt, nahtlose Gummibeläge für Pferdeställe und Aluminiumdeckel für Halbfett-Milchflaschen. Das verschwieg „Al Bundy“ dem Skinhead freilich.
Der Mythos der Doc Martens ist ohnehin stark abgebröckelt. Der Erfinder der Schuhe, ein gewisser Doktor Märtens, stammte aus Sachsen. Anfang des Jahrhunderts verkaufte er seine Schuhfabrik, ging nach England und anglisierte seinen Namen. Die Docs, die während des Zweiten Weltkriegs von Märtens' Designer Herbert Funck entworfen wurden, waren ursprünglich ein Gesundheitsschuh für ältere Damen, die auch heute noch zum größten Kundenkreis gehören. Die Firma Griggs weist verzweifelt darauf hin, daß der Anteil ihrer Schuhe an Skinfüßen nur verschwindend gering sei, während Doc Martens längst auch von Arbeitern und Angestellten, Krankenschwestern und Bankiers getragen werden. Zweitausend Angestellte kommen mit der Produktion der Schuhe, die in 22 Länder exportiert werden, kaum nach. Auch die Queen hat ja nun eingesehen, daß die Docs geradezu staatstragend sind — selbst wenn die Polizei in einem englischen Seebad einer Horde Skinheads einmal die Schuhe aufband und die Schnürsenkel als „gefährliche Waffen“ beschlagnahmte.
„Doc Martens ist jetzt übrigens auch ins Modegeschäft eingestiegen“, sagte der Schuhverkäufer zu dem Skinhead, der seine vierzehnlöchrigen Gesundheitsschuhe unschlüssig drehte und wendete, als ob er nach einem Gütesiegel mit der königlichen Fresse darauf suchte. Der Amateur-Al-Bundy, der wohl befürchtete, daß sich der Skin am Ende für ein paar Hush-Puppies entscheiden würde, versicherte ihm jedoch, daß die Klamotten durchaus docmäßig seien. „Keine Anzüge, sondern Tweedjacken, Westen und Regenmäntel aus den vierziger Jahren“, flüsterte er ihm zu. „Ich trage keine Tweedjacken“, platzte dem Skinhead endlich der Kragen. „Und schon gar keine Regenmäntel aus den vierziger Jahren, du Scheißer.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen