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Zwischen Gegen und Kultur: Zappa Von Mathias Bröckers

Nur ein toter Bürgerschreck ist ein guter Bürgerschreck, und deshalb wird das prüde Amerika ihn jetzt auch im Radio hochleben lassen. Als großen Erneuerer und Avantgardisten des Undergrounds, als neo-dadaistischen Großmeister und musikalisches Jahrhundert- Genie. Frank Zappa ist tot. Zum 14. Geburtstag hatte er sich ein Telefonat mit dem Komponisten Edgar Varese gewünscht, vom 40. Lebensjahr widmete er sich zunehmend dieser „ernsten“ modernen Musik – in den Jahren dazwischen revolutionierte er die Pop-Kultur wie kein anderer. Daß die Beatles mit ihren Pilzfrisuren schockten, die Stones mit aufmüpfigen Texten und Hendrix mit kreischendem Gitarren-Feedback, wird in den Annalen der 60er Kulturrevolution längst und breit gewürdigt – daß Zappa alle diese Impulse in sich vereinigte und auf die Spitze trieb, kommt allenfalls am Rande vor. Dabei wirkten die Liverpooler Langhaarträger gegen Zappa mit Zottelmähne auf dem Klo – die Poster-Ikone der Gegenkultur – wie brave Buben, der Ruf der Stones nach sexueller „Satisfaction“ klosterschülerhaft gegen Zappas zotige Allüren, und Jimis Spiel mit dem elektrischen Lärm erfuhr in den akustischen Müll-Skulpturen der „Mothers of Invention“ die erfinderische Fortsetzung. Der Synergetiker Zappa war für die Hochkultur to much in jeder Hinsicht: zu anarchisch, zu direkt, zu schräg – reif fürs Pop-Pantheon, den Grammy bekam er erst 1988 („Jazz from Hell“), als er seine Texte wegließ. Und deshalb ein Fall fürs Guinness-Buch der Rekorde: der mit Abstand wichtigste Rockmusiker des 20. Jahrhunderts, der trotz 50 LPs nie einen Top-ten-Hit landete.

Als jemand, dessen persönliche Top ten in den 70ern nahezu ausschließlich aus Zappa-Platten bestand, bin ich für objektive Würdigungen ungeeignet. Als aus dem „Slime of the radio“ beim Frühstück die Todesnachricht sickert, sickern kurz darauf tatsächlich Tränen. Vor drei Tagen Helmut Salzinger (Autor von „Swinging Benjamin“, „Rockpower – Wie musikalisch ist die Revolution?“ und „Überohr“ der Zeitschrift Sounds), und jetzt Frank Zappa – kaum über 50 sterben die besten und freiesten Geister einfach weg, und all die angepaßten Arschgesichter überleben – wo soll das alles enden?

„Das ist alles nur geklaut!“ – als erste deutschsprachige Band seit langem machen die „Prinzen“ derzeit auf MTV Furore, mit einem aus populären Clips zusammengeklauten Video und einem fröhlichen Schlagerliedchen mit Schubidu- Chor. Eine Parodie der Parodie der Parodie – und ohne Frank Zappa, der Parodie und ironisches Zitat als Medium in die Popmusik einführte, gar nicht denkbar. Und weil die Zwerge von heute oft gar nicht wissen, auf welchem Rücken eines Riesen sie musizieren (und weil in Deutschland allenfalls das eher dämliche Schunkellied „Bobby Brown“ mal im Radio gespielt wurde), hier die Liste der unsterblichen Musik, die spätestens heute 24 Stunden lang auf allen Kanälen laufen müßte, hätte der tote Dudelfunk unserer Tage noch einen Funken lebendige Kultur:

One Size Fits All, Roxy & Elswhere, Over-Nite Sensation, Bongo Fury, Apostrophe, Just Another Band From L. A., We're only in it for the money, Cruising With Ruben & The Jets, Zoot Allures, Uncle Meat, Hot Rats, Sheik Yerbouti, Joe's Garage, Freak Out...

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