■ Markus Wolf wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt
: Wenn Richter Politik machen

Ein Beitrag zur Geschichtsaufarbeitung war der Düsseldorfer Prozeß gegen den einstigen DDR-Spionagechef Markus Wolf wahrlich nicht. Neue Erkenntnisse über die deutsch-deutsche Spionage? Fehlanzeige. Da half auch nicht das absurde Defilee der früheren Top-Spione. Ob Hannsheinz Porst, ob Sonja Lüneburg oder Günter Guillaume. Über das gegenseitige Geschäft der Schlapphüte offenbarten sie nichts wesentlich Neues – genausowenig wie der erst während des Gerichtsverfahrens als „Topas“ enttarnte Nato-Spion Rainer Rupp. Nach 43 Verhandlungstagen haben Bundesanwaltschaft und Gericht dafür gezeigt, welch merkwürdige Blüten die bundesdeutsche Justiz im Zusammenhang mit der deutschen Einheit treiben kann. Obwohl das Bundesverfassungsgericht – angerufen vom Berliner Kammergericht im Verfahren gegen den Wolf-Nachfolger Werner Großmann – noch gar nicht darüber entschieden hat, ob die einseitige Strafverfolgung der Spionage von Mitarbeitern der HVA mit dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes überhaupt vereinbar ist, hat der Düsseldorfer Strafsenat schon „Recht“ gesprochen. Dabei ist die Argumentation des Gerichtes, wonach zwischen der „defensiven“ Geheimdiensttätigkeit der westdeutschen Behörden (die angeblich nur den Erhalt der alten Bundesrepublik im Auge gehabt hätten) und der „offensiven“ Arbeit des DDR- Geheimdienstes (weil diese die alte Bundesrepublik destabilisieren sollte) unterschieden werden muß, reichlich brüchig. Gerade so, als ob es sich beim HVA- Pendant, dem Pullacher Bundesnachrichtendienst, nur um einen besseren Pfadfindertrupp gehandelt hätte. Bei aller Unterschiedlichkeit der Systeme – das Spionagerepertoire beider deutscher Staaten war nahezu das gleiche.

Das Spionieren beider deutscher Staaten galt auch bei Wolfgang Schäuble, dem Bonner Chefunterhändler bei den Verhandlungen zum Einigungsvertrag, als „teilungsbedingte Straftaten, die außer Strafverfolgung gestellt werden müssen“. Die von ihm und allen Rechtspolitikern befürwortete Amnestie im Spionagebereich scheiterte zwar im Vorfeld der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen an parteitaktischen Widerständen. Schäuble konnte sich dennoch nicht vorstellen, „daß wir die Mitarbeiter der DDR ins Gefängnis stecken und das umgekehrt nicht tun“. Daß dies gehen kann, zeigt nun das Düsseldorfer Gericht. In mehr als 120 Verfahren hat der 63jährige Richter Klaus Wagner in den letzten sechzehn Jahren Agenten und Spione der untergegangenen DDR abgeurteilt. Einigung hin, Einigung her: Mit der Verurteilung Wolfs will sich Wagner selbst einen krönenden Abschluß seiner Karriere sichern. Das tut er auch in der Hoffnung, sich so vielleicht einen der vakanten Abteilungsleiterposten in der Karlsruher Bundesanwaltschaft an Land ziehen zu können. Die Karlsruher sind ihm jetzt zu Dank verpflichtet. Das Urteil des Strafsenates dient ebenso wie die massenhafte Einleitung anderer Verfahren durch die Bundesanwaltschaft dem Versuch, das Urteil der Verfassungsrichter zu präjudizieren.

Absurderweise adelt der Urteilsspruch nachträglich noch den Herrn über die mehrere tausend Spione in der Altbundesrepublik. Der Eindruck muß entstehen, daß Wolf verurteilt wurde, weil sich der von ihm aufgebaute Geheimdienst in der Konfrontation des Kalten Krieges als der bessere, weil erfolgreichere erwiesen hat. In den Hintergrund rückt dabei, daß auch der legendäre Aufklärungsdienst in die innere Repression in der DDR fest eingebunden war. Das ging immerhin so weit, Bürgerrechtler wie Jürgen Fuchs oder Roland Jahn auch noch nach ihrer Ausweisung in den Westen mit den Mitteln der HVA zu „zersetzen“. Und das wäre auch nach DDR-Recht strafbar gewesen. Ein „sauberer“ Nachrichtendienst war die HVA nie gewesen, auch wenn Markus Wolf das heute gerne behauptet. Ein Verfahren wegen der Machenschaften der HVA innerhalb der DDR und der Rolle, die Wolf dabei gespielt hat, hätte allemal eine breitere Akzeptanz gefunden. Wolfgang Gast