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Wenn die Privatpost explodiert

Serie von Attentaten erschüttert Österreich / Wiener Bürgermeister Helmut Zilk schwer verletzt / Fremdenfeindliche Motive wahrscheinlich / Heiße Debatte über die Rolle der FPÖ  ■ Aus Wien Robert Misik

Die Ärzte im Wiener Allgemeinen Krankenhaus operierten mehr als vier Stunden an der zerfetzten linken Hand des Bürgermeisters – erfolgreich. Zuvor hatte man noch befürchtet, dem populären Stadtvater Helmut Zilk den gesamten Unterarm amputieren zu müssen.

Am späten Sonntag abend hatte Zilk ein an ihn persönlich adressiertes, 1,5 Zentimeter dickes Kuvert geöffnet und so die folgenschwere Detonation ausgelöst. Es war der bisher fatalste Höhepunkt einer Briefbombenserie, die seit vergangem Freitag die Alpenrepublik in Atem hält. Zuvor wurden bereits ein in Flüchtlingsangelegenheiten engagierter Hartberger Pfarrer und eine aus Kroatien stammende Fernsehmoderatorin erheblich verletzt. Der streitbare Präsident der Caritas, Helmut Schüller, die grünen Parlamentarierinnen Madeleine Petrovic und Therezija Stoisits sowie die Frauenministerin Johanna Dohnal waren in den vergangenen Tagen ebenfalls Empfänger brisanter Post, entdeckten die Gefahr jedoch, bevor sie die Briefe öffneten.

Schien nach den ersten beiden Attentaten noch möglich, daß diese Bombenserie die Eröffnung einer neuen Front des ex-jugoslawischen Bürgerkriegs darstellt, sind mittlerweile fremdenfeindliche Motive klar: Alle Empfänger der Briefbomben waren als Fürsprecher einer liberalen Flüchtlings- und Einwanderungspolitik bekannt. Zudem war jedem Briefumschlag ein Handzettel beigelegt: „Wir wehren uns. Graf Rüdiger Starhemberg.“ Jener Graf ging vor mehr als 200 Jahren in die österreichische Geschichte ein als Verteidiger Wiens während der zweiten Belagerung der Truppen des osmanischen Reiches. „Diese und andere Indizien“, meint denn auch Innenminister Franz Löschnak, „machen fremdenfeindliche Motive sehr wahrscheinlich.“

Unklar ist freilich, ob es sich bei den Urhebern der Attentate um organisierte Neonazis oder einen technisch begabten, rassistischen Irren handelt. Für die zweite Annahme spricht einiges. Zwar hat der – oder die – BombenbastlerIn technisch hochwertig gearbeitet, die sonstige logistische Arbeit wurde aber höchst dilettantisch vollbracht. So machte sich der Absender nicht einmal die Mühe, die genaue Anschrift seiner Opfer zu recherchieren. Der nichtdetonierte Sprengsatz an Caritas-Chef Schüller war einfach an „Monsignore Helmut Schüller – Präsident der Caritas. Persönlich – Wien“ adressiert. Darüber hinaus handelte es sich nicht gerade um eine Art des Rechtsterrorismus, die nach Sympathie latent xenophober Bevölkerungsschichten heischt: Die prominenten Opfer genießen hohes Ansehen.

Hinzu kommt, daß der harte Kern der neonazistischen Szene nach der Zerschlagung der „Volkstreuen außerparlamentischen Opposition“ und der Verurteilung von deren Führer, Gottfried Küssel, Vorbereitungen für eine Reorganisation getroffen hat, bislang jedoch nichts auf eine derartige Eskalation hindeutete. Im verschlafenen Österreich, wo die xenophobe Grundstimmung bisher – im Unterschied zur BRD – kaum in rassistische Gewalt umgeschlagen ist und wo seit der Ermordung des Wiener Baustadtrates Heinz Nittel durch die radikale palästinensische Abu-Nidal-Truppe vor mehr als einem Jahrzehnt kein Angehöriger der politischen Klasse ins Visier von Terroristen geriet, ist die Anschlagsserie ein Schock. Die Betroffenheit geht durch alle Lager, selbst in der rechtslastigen „Freiheitlichen Partei Österreichs“ (FPÖ) Jörg Haiders liegen die Nerven blank. Haider reagierte sichtlich geschockt auf das Attentat auf „seinen väterlichen Freund“ Zilk, den einzigen sozialdemokratischen Spitzenpolitiker, zu dem der rechtspopulistische Rabauke noch ein von Freundschaft getragenes Verhältnis hat.

Nichtsdestoweniger werfen die politischen Konkurrenten der Haider-Partei vor, an dem Klima der verbalen Eskalation, das nunmehr in Gewalt umschlug, eine Mitverantwortung zu tragen. Denn nichts ist für die FPÖ, die derzeit versucht, im Stil moderater zu werden, um im heimatlosen national-konservativen Milieu der krisengeschüttelten Christdemokratischen Volkspartei (ÖVP) wildern zu können, gefährlicher, als mit einem terroristischen Umfeld identifiziert zu werden.

Als am Freitag nach dem Bekanntwerden der ersten Attentate ein SPÖ-Abgeordneter dem Nationalrat der Betroffenheit heuchelnden FPÖ vorhielt, „wer denn dazu beigetragen hat, daß die politische Kultur in diesem Lande abhanden gekommen ist“, und ein Grüner Abgeordneter den empörten Freiheitlichen auch noch Rechtsextremismus attestierte, dessen Saat nun aufgehe, schlug die Nervosität mancher FPÖ-Abgeordneter in Hysterie um: eine freiheitliche Hinterbänklerin konnte nicht mehr an sich halten und attackierte den grünen Mandatsträger in den Parlamentsrängen. Es war das erste Handgemenge im Nationalrat seit Menschengedenken.

Zu weiteren heißen Debatten über die geistige Urheberschaft und politisch Verantwortliche dürfte es noch genug Anlaß geben: Staatspolizeichef Oswald Kessler hat Indizien dafür, daß noch mindestens fünf Briefbomben auf dem Postweg unterwegs sind.

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