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Hysterische Stoffpüppchen

■ „Love again“: Ausstellung im Elbschloß thematisiert Emotion und Körper Von Hajo Schiff

Die seit langem interessanteste Ausstellung in Hamburg geht von einer Privatinitiative aus: Birgit Gatermann hat als neuen Ort für Kunst das Elbschloß entdeckt und dort nach dem Konzept der amerikanischen Künstlerin und Kuratorin Claudia Hart die Ausstellung Love again realisiert. In den Rahmen des palladinesken Lusthauses auf der Schwelle von Klassizismus und Romantik fügen sich Arbeiten von 18 KünstlerInnen aus Belgien, Deutschland, Frankreich und den USA, die alle mehr oder weniger den Emotionen und der Körperlichkeit Ausdruck geben.

Claudia Hart sah ihre Kunstauffassung seit Jahren im üblichen Kunstbetrieb nicht vertreten. So beschloß sie selbst gegen das didaktische Konzept, gegen den kühlen Minimalismus und die neue Warenästhetik eine Ausstellung zusammenzustellen, die auf die subjektive Emotionalität setzt. Nicht sentimental, sondern im klaren Bewußtsein heutiger Probleme, vermitteln die Installationen im Zusammenspiel mit den unterschiedlichen Raumcharakteren einen intelligenten und direkten Zugang zur Welt der Gefühle. Dabei versteht sich diese neue Romantik nicht weltflüchtend, sondern in der positiven Tradition der Avantgarde des 19. Jahrhunderts. Der Altonaer Kaufmann Johann Heinrich Baur nutzte 1803 die durch Palladio vermittelte Antike als Rahmen seines Selbstverständnisses. Doch Rückgriffe auf alte Gestaltungsqualitäten sollen kein Formalismus sein, sondern neu nutzbare Sprache. Statt postmodernen Leerlaufs interessiert der Blick auf das Ende des 18. Jahrhunderts, in dem Diderot und Voltaire, Rousseau und auch de Sade den Bereich der menschlichen Möglichkeiten über das rationale Erfassen zum sentimentalen und exessiven Erproben der Möglichkeiten geöffnet haben.

In der Mitte des zentralen Kuppelraumes dreht sich eine barocke Damenrobe auf einem Podest, über und über beschrieben mit autobiographischen Texten zu Liebe und Leid: Rest einer Performance von Hunter Reynolds. Daß aus der homosexuellen Szene wichtige Impulse kommen, ist zwar nicht mehr ganz neu, wird hier aber wieder einmal eindrucksvoll vorgeführt. Nebenan Piotr Nathan mit Klotüren aus einem Berliner Schwulentreff und Chrysanne Stathacos mit Drucken von Haaren und gepreßten Rosen, exellent gehängt auf den Resten einer pomopejanisch roten Wandfarbe. Gedichte auf Tüll und Video (Ashley King) im Seitenraum: Vergänglichkeit und der poetische Augenblick angesichts einer maßlosen Welt ist eine weitere Grundstimmung, die sich durch die Arbeiten zieht. Und immer wieder das Umkippen der Zärtlichkeit in Gewalt: Das Kind spielt mit der Katze, doch kaum tut sie nicht, was sie soll, wird sie fast umgebracht. Solche Szenen aus dem Familienleben zeigen die Videos von Joel Bartholomeo aus Frankreich.

Mit Lack hat Joyce Pensato einen ganzen Raum wild ausgemalt: Micky Mouse und Donald Duck grinsen als schwarz-weiße Monster von den Wänden. Das Kindlich-Nette wird zum bodenlosen Horrorkabinett, in dem selbst kleine Stoffpuppen in Hysterie verfallen — eine eindringlich und extrem überraschende Verwendung von Videoprojektion durch documenta-Teilnehmer Tony Oursler.

Das Elbschloss wurde nach dem Auszug der Brauereibesitzer auf verschiedene Weise genutzt und verfügt nun im halbrestaurierten Zustand neben klassischen Resten auch über Blümchentapeten und eine blaßfarbige 50er-Jahre Küche. Diese macht Francois Curlet mit einem kleinen akustischen Eingriff zum Ready-made: Nur aus der Art, in der die Namen „Jesus“ und „Maria“ gekeift werden, baut sich der schönste Familenkrach auf. Gleichwertig neben Ton- und Videoarbeiten stehen traditionellere Techniken: Johan Creten setzt Torsi von Frauenkörpern aus Tausenden von keramischen Rosenknospen zusammen, schön und zerbrechlich in der Form, doch scharfkantig verletzend bei Berührung, ähnlich einer dreidimensionalen Vision der scharfsinnigen Bilder seines Landsmanns Rene Magritte. Bei aller Verschiedenheit der Medien stehen diese Skulpturen des jungen Belgiers in Hinsicht auf die Ambivalenz des Körpers in überraschendem Zusammenhang mit Via Lewandowskys exhibitionistischer Performance im Badezimmer am Eröffnungsabend. Es ist zu hoffen, daß sich der Eindruck, hier sei seit langem mal eine Ausstellung, die echtes Interesse weckt und mehr als ein Vorzeigen des angesammelten Bestandes ist, herumspricht, und daß das Elbschloß eine wichtige Kulturadresse wird.

Kunstraum Elbschloß, Bonne-Str.19, Mi-Fr 15 - 19 Uhr, Sa und So 11 - 17 Uhr, bis Februar 1994

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