"Zeit, daß andere ans Ruder kommen"

■ Berliner StudentInnen wollen per Volksbegehren das Abgeordnetenhaus auflösen / Hoffnung, daß bis Weihnachten 80.000 Unterschriften gesammelt sind / Ein Interview mit einigen Initiatoren des Plebiszits

Seit Freitag vergangener Woche sammeln Berliner StudentInnen Unterschriften für ein Volksbegehren. Sie wollen, wie berichtet, daß die BerlinerInnen in einem Plebiszit über die Zukunft der Großen Koalition entscheiden.

taz: Ihr braucht 80.000 Unterschriften, damit es zum Volksbegehren kommt. Glaubt Ihr, daß Ihr die tatsächlich erreichen werdet?

Henning Rehren: Wir sind in Berlin rund 145.000 StudentInnen, insofern dürfte das eigentlich kein Problem sein. Sicherlich gibt es auch unter den Studenten verschiedene Meinungen. Wir wollen aber ganz bewußt ein politisches Zeichen setzen und auch die Bevölkerung dabei einbeziehen. Es sind sehr wenig Leute mit der derzeitigen Politik der Großen Koalition zufrieden. Denen wollen wir ein Forum bieten, die Möglichkeit, aktiv diese Politik mit zu beeinflussen.

Dieses plebiszitäre Element sei der einzige Weg aus der Krise, meinte einer von euch. Welche Wege aus der Krise der Universitäten seht Ihr?

Irina Leyde: Wir StudentInnen können in der Uni überhaupt nichts ändern, weil wir in allen Gremien in der Minderheit sind. Wir haben keinen Einfluß darauf, was die professoralen Vertreter alles machen. Wir haben keine Chance, an diesen verfilzten Wasserkopfstrukturen etwas zu ändern.

Gunnar Theißen: Ich bin der Meinung, daß die Hochschulreform auch parlamentarisch thematisiert werden muß. Aber letztendlich muß sie aus den Universitäten kommen. Dort sind die Betroffenen, dort müssen wir etwas verändern. Das können wir aber nur, wenn es an der Hochschule demokratisch zugeht. Wenn nicht egoistische Interessen von Professoren für ihre speziellen Forschungsprojekte oder für Freistellung von der Lehre bestimmend sind. Außerdem muß es innerhalb der Uni eine Umverteilung von Mitteln geben. Die Förderung von Tutorien ist wichtig, von Mittelbaustellen anstelle von teuren C3- oder C4-Stellen für Professoren. Das können wir nur ändern, wenn wir demokratisch die Kontrolle bekommen über diese Fehlentwicklungen.

Anja Mittermaier: Die Hochschulen sind das geistige Zentrum der Gesellschaft. Wenn man sieht, wie mit der Hochschulreform umgegangen wird, wie oberflächlich Probleme behandelt und scheinbar gelöst werden, dann ist es höchste Zeit, daß mal andere Leute ans Ruder kommen.

Ziel des Begehrens ist die vorzeitige Beendigung der Legislaturperiode. Auch ein anderes Abgeordnetenhaus stünde unter den Haushaltsrestriktionen des Landes Berlin.

Anja: Mit Projekten wie dem Tiergartentunnel oder den ganzen neuen Gebäuden für die Bundesregierung, da werden Prioritäten gesetzt, die durchaus auch anders aussehen könnten. Das ist eine Frage der Schwerpunkte.

Gunnar: Der praktisch gescheiterten Olympia GmbH werden nachträglich noch mal 50 Millionen Mark nachgeworfen. Damit könnte man die nominellen Kürzungen an der FU und der TU für ein ganzes Jahr im Haushalt auffangen.

Ihr seid gegen die Große Koalition. Gibt es eine andere politische Option für Euch?

Irina: Wir sind absolut überparteilich. Es soll neu gewählt werden, und dann kommt der ran, den die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger will – und dazu gehören auch StudentInnen. Es geht außerdem darum, daß man als Wähler, als Bürger nicht der kleine Mann ist, der nichts tun kann, sondern daß jeder die Möglichkeit hat, auf die Politik hier Einfluß zu nehmen durch dieses Plebiszit.

Bis wann könnte das Abgeordnetenhaus aufgelöst sein?

Jörg Hermeier: Das wäre im Frühjahr nächsten Jahres der Fall. Wir müssen bis Weihnachten die 80.000 Unterschriften zusammenkriegen. Dann haben die Bezirksämter drei Wochen Zeit, die Unterschriften zu prüfen. Der Innensenator kündigt das Volksbegehren im Amtsblatt an – das dauert 14 Tage. Anschließend müssen die Listen mit einer einwöchigen Eintragungsfrist ausgelegt werden; bei der müssen sich mindestens 20 Prozent der BerlinerInnen eintragen, damit es zum Volksentscheid kommt – oder das Abgeordnetenhaus die Möglichkeit erhält, sich selbst aufzulösen. Interview: Christian Füller