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MIRCEA DINESCU

Foto: Ekko von Schwichow

Mircea Dinescu hat die Aureole des politischen Dichters. Er war es, der im Dezember 1989 den Sturz Ceaucescus verkündet hatte. Neun Monate zuvor, in einem inzwischen berühmten Interview in Libération, hatte er das Regime auf seine unnachahmlich sarkastische Art kritisiert und wurde daraufhin unter Hausarrest gestellt. Einige Gedichte auf dieser Seite sind in jener Zeit der Überwachung entstanden. „In meiner eigenen Wohnung eingesperrt“, sagte Dinescu später, „habe ich meine bescheidenen Wörter auf Deutsch, Französisch oder Niederländisch gehört, nur mit dem kleinen Radiogerät, mit dem ich zehn Monate lang Monologe ausgetauscht habe. Damals fühlte ich mich beschützt von einer Rüstung aus Papier – aus dem Papier, auf dem meine Wörter in anderen Sprachen gedruckt worden waren. Ich meine, so habe ich die Angst vor dem Tod abgelegt. Den Wörtern verdanke ich meinen Hausarrest – den Wörtern verdanke ich das Gefühl einer neuen, einer anderen Freiheit.“ Gedichte wie „Interview“ oder „Die metaphysische Katze“, beide 1989 geschrieben, zeigen, wie ungenau es wäre, diese Poesie – eine Poesie der Revolte, des menschlichen Mitgefühls – nur unter politischen Vorzeichen zu lesen. Es wäre eine Einengung, die Dinescu Unrecht täte. Komponiert aus Alltagssprache, Slogans, Sprachwitz und prosodischen Neuerungen überspringt diese Poesie immer wieder unerwartet die Grenze zwischen Reflexion und politischer Kampfansage, zwischen „reiner Lyrik“ und sanft beißender Satire. Denn der Zugriff auf die Dinge ist aggressiv, doch immer spielerisch zugleich.

1950 in Slobozia geboren, fing Dinescu sehr jung in Zeitungen zu publizieren an, veröffentlichte 1971 seinen ersten Gedichtband und galt bald als „rumänischer Rimbaud“, als Champion ungehaltener Poesie, als zorniger „Blockfreier“, der vor nichts zurückschreckt (deshalb höchst suspekt), und schon 1983 anklingen ließ, daß auch die Freiheit nicht unbedingt das Allheilmittel sei. Das Unerschrockene, das von keiner Ideologie Vereinnahmbare an Dinescu besticht. Doch der für mich erstaunlichste Dinescu ist der der mikroskopischen Gedichte, Haiku fast, deren kompakte Genauigkeit uns berührt und unser eigenes Denken und Träumen in Bewegung setzt: Schmerzlos zähl ich die Sterne, auch ich – / so wie der Krebs / die weißen Blutkörperchen des Ertrunkenen zählt.

Nach einer längeren Pause, in der sich Dinescu in die Politik seines Landes mischte (mit wachsender Enttäuschung), eine satirische Wochenzeitung gründete (die er mit Erfolg weiterhin herausgibt) und die Geschicke des rumänischen Schriftstellerverbandes lenkte, hat er jetzt wieder begonnen, Gedichte zu schreiben. „Taschenlied“ und „Das Verschwinden des Berges“ zeigen erneut, wie sehr er die Spannung der Welt in seine Lyrik einzubringen vermag. Seit je sind seine Themen die Absurdität der Geschichte und der Widerstand des einzelnen. Diese Themen sind immer brisant, 1971, 1989 und im Winter 1993, in Rumänien oder hier. Joachim Sartorius

Bibliographischer Kurzhinweis:

Exil auf einem Pfefferkorn. Gedichte, Suhrkamp 1988

Ein Maulkorb fürs Gras. Gedichte, Ammann, 1990

Alle Gedichte auf dieser Seite wurden von Werner Söllner aus dem Rumänischen ins Deutsche übertragen. „Taschenlied“ und „Das Verschwinden des Berges“ sind 1993 geschrieben und deutsche Erstveröffentlichungen.

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