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„Gottes Segen“ sprudelt nicht mehr

Ein Jahr nach der Amtsenthebung Collors kommt in Brasilien immer mehr Korruption ans Licht / Ein Sumpf aus Baufirmen, Parlamentsabgeordneten und Phantomorganisationen  ■ Aus Rio Astrid Prange

Brasiliens Elite scheint an ihrer eigenen Korruption zugrunde zu gehen. Zwei Monate nach dem Beginn der Arbeit einer Parlamentarischen Untersuchungskommission (CPI), die der Manipulation von Haushaltsgeldern durch Mitglieder des brasilianischen Parlaments nachgeht, ist die Anzahl der bestechlichen Volksvertreter kaum noch zu überblicken. Das emsige Wühlen in den Sümpfen der Korruption gerät zunehmend zum erbitterten Kampf um die Wählergunst. Es gilt, den sich abzeichnenden Sieg von Luis Inacio Lula da Silva, Präsidentschaftskandidat der Arbeiterpartei (PT), am 15. November 1994 zu verhindern.

„Wir haben für die Unterstützung unserer Kandidaten zwölf Millionen Dollar vorgesehen“, gestand am Dienstag Ailton Reis, Direktor der Baufirma „Odebrecht“, vor der CPI. Die milde Gabe an devote „Volksvertreter“ ist nur ein Tropfen des tropischen Gewitters, das im kommenden Jahr auf unternehmerfreundliche Kandidaten niederprasseln wird.

„In Brasilien kontrollieren große Firmen die Wahlen. Wir sind darauf vorbereitet“, kontert der PT-Abgeordnete Jos Dirceu. Für Dirceu, Mitglied der CPI, ist der Korruptionsskandal ein Zeichen für Dekadenz. „Wenn wir es nicht schaffen, die politische Klasse zu erneuern, die seit dreißig Jahren regiert, gibt es in Brasilien keine Demokratie“, stellt Dirceu klar.

Der erste Millionär sitzt schon hinter Gittern

Brasiliens Reiche haben allen Grund, den Atem anzuhalten. Vor fast einem Jahr, am 29. Dezember 1992, mußten sie mit ansehen, wie der Garant ihrer Interessen, Ex- Präsident Fernando Collor, wegen Korruption aus dem Amt gejagt wurde. In der vergangenen Woche gelang der brasilianischen Polizei endlich die Festnahme von Collors ehemaligem Kassenwart Paulo Cesar Farias, dem vorgeworfen wird, über eine Million Dollar Steuern hinterzogen zu haben. Farias ist der erste brasilianische Millionär hinter Gittern. Während der Amtszeit Collors quetschte er im Auftrag des Präsidenten Unternehmer aus, die an öffentlichen Aufträgen interessiert waren.

Nach dem Schlag gegen die Exekutive im vergangenen Jahr hat nun innerhalb der Legislative das große Reinemachen begonnen. Über 60 der insgesamt 502 Abgeordneten sollen in die „Ölung öffentlicher Gelder“ verwickelt sein – Angehörige aller Parteien außer der PT, darunter auch früher als integer geltende Mitglieder des Untersuchungsausschusses, der 1992 die Entmachtung Collors betrieb. Nicht nur mit der Lobby für Baufirmen, auch mit sozialen Subventionen der Regierung verdienten sie sich eine goldene Nase. Nach dem Motto „Je ärmer, desto besser“ überzogen sie ihren Wahldistrikt mit sozialen Hilfsorganisationen, die sich bei näherer Betrachtung meistens als Attrappen entpuppen.

CPI-Mitglied Senator Jos Paulo Bisol geht so weit, die Beziehung zwischen Parlamentariern, Beamten und Baufirmen als „Schattenregierung“ zu bezeichnen. „In Wirklichkeit“, so der Senator, „geht es den Firmen gar nicht um die Ausführung von Bauvorhaben, sondern nur ums Geld.“ Sobald sie für eine Ausschreibung den Zuschlag bekommen hätten, würden sie abkassieren und den Auftrag dann an eine kleinere Firma weitergeben.

Angehörige dieser „Schattenregierung“ führen in dem von krassen sozialen Gegensätzen gezeichneten Brasilien ein paradiesisches Dasein. Abgeordneter Fabio Raunheitti aus Rio de Janeiro zum Beispiel steckte von 1989 bis 1992 knapp 15 Millionen Dollar Subventionen für Hilfsorganisationen ein, die zumeist nur auf dem Papier existierten. Bereits zwei Jahre nach seiner Wahl war Raunheitti stolzer Besitzer von unter anderem zehn Wohnungen, 31 Einfamilienhäusern, fünf Mietshäusern, 27 Baugrundstücken, sieben Farmen, fünf Telefonleitungen, einem Lastwagen sowie vier Luxuslimousinen. Vor dem Untersuchungsausschuß gab er sich unwissend und selbstmitleidig: „Schon seit zwei Wochen kann ich nicht schlafen. Ich steige aus der Politik aus.“

Furcht vor einem Wahlsieg des Linken Lula

Sein Kollege Joao Alves, der, wie er vor der CPI bekannte, sein persönliches Vermögen „Gottes außerordentlichem Segen“ verdankt, hat sich zur heftigsten Spielernatur ganz Brasiliens entwickelt. Um den kriminellen Ursprung seiner Nebenverdienste zu vertuschen, kaufte der Politiker zuweilen 47 Prozent aller Wetten im ganzen Land auf. Die 24.251 Preise, die er dadurch seit 1988 gewann, bescherten ihm bei einem Einsatz von 30 Millionen Dollar zehn Millionen „ehrlich verdiente Bugs“.

„Die brasilianische Elite ist unfähig, zwischen privatem und öffentlichem Eigentum zu unterscheiden. Sie nutzt den Staat für ihre persönlichen Interessen“, betont der Abgeordnete Dirceu. Der Versuchung, sich ebenfalls dem Dolce vita bestechlicher Volksvertreter hinzugeben, ist der Linksparlamentarier bisher nicht erlegen: „Für Korrupte ist in der PT kein Platz. Für uns gehören Ethik und Politik noch zusammen“, meint er überzeugt.

Der Direktor der Firma Odebrecht, Ailton Reis, scheint Dirceu indirekt zuzustimmen. „Wenn die Unternehmer nicht endlich die Ärmel hochkrempeln, führen die Arbeiten des Untersuchungsausschusses dazu, daß Lula 1994 an die Macht kommt“, heißt es in vertraulichen Dokumenten, die kürzlich von der brasilianischen Polizei in der Wohnung von Ailton Reis in Brasilia beschlagnahmt wurden. Der Arbeiterpartei prophezeit Odebrecht eine „enthusiastische und überraschende Beitrittswelle“. Als Konsequenzen werden das Ende der Privatisierung von Staatsbetrieben, Wirtschaftsstagnation, ja sogar eine außenpolitische diplomatische Krise und eine Machteinbuße für das brasilianische Unternehmertum befürchtet. Das vorgeschlagene Gegenrezept: „Demonstrationen auflösen, CPIs boykottieren und gegen falsche Führer, die die Presse mit falschen Informationen füttern, energisch vorgehen.“

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