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Fischfang beim enttäuschten Volk

■ „Freie Bürger“ treffen sich in Kamenz zum Heimspiel gegen den Parteienfrust

Kamenz (taz) – Neben Hubert Heine ist kein Ausruhen. Nicht, daß er noch heute abend die Regierung stürzen will. Aber eine neue Partei „müßte es schon werden“, redet er seinen verdutzten Zuhörern die Flausen aus dem Kopf. Wenn die anderen mitmachen in Dresden, in Berlin und wo sonst noch die Enttäuschten sich dieser Tage versammeln. Aller Anfang ist mühsam, das hat Hubert Heine nicht erst erfahren, seit er für eine „Freie Wählergemeinschaft“ im Kreis Kamenz wirbt. Bei den Kommunalwahlen 1990 kandidierte er allein. Kaum war der Wahlkampf mit einer Niederlage überstanden, gründete er, damals selbst arbeitslos, die Kamenzer Arbeitslosen-Selbsthilfe. Und wurde ihr erster Vorsitzender. Nun will er mit einem Häuflein Gleichgesinnter in die Politik.

Dreizehn Männer und eine Frau sind seinem Plakat gefolgt, auf dem das Wort „Volk“ gleich viermal auftaucht. Kamenz, wo der Aufklärer Lessing geboren wurde, die Stadt, der ein Chronist nachsagte, „an muntern Köpfen, aus denen etwas rechts werden könnte, mangelts hier nicht, nur an Mitteln“, scheint zu schlummern, als die Runde in der kantinenähnlichen „Weindiele“ die etablierten Parteien abbürstet. „Das Haus hätte voll sein müssen, aber man kann es nicht erzwingen“, seufzt das langjährige Mitglied der Nationalen Front, Abteilung CDU. „Das Volk ist die Basis für alle politischen Entscheidungen“, entwirft der „längst Parteilose“ das Credo seiner „Freien Wählergemeinschaft“, die sich zunächst zu den Kommunalwahlen ausprobieren, aber im Netzwerk mit ähnlichen Vereinen dann auch landes- und bundesweit kandidieren will. Ein Zuhörer schlägt den Namen „Freie Bürgergemeinschaft“ vor. Weil das nicht so nach Diäten klingt.

Mit Volkes Wille in der Hinterhand könnte, so Hubert Heine, „ein bißchen mehr administriert werden.“ Wenn Gesetze sich nicht bewähren, müßten sie „umgehend“ geändert werden. Alkoholverbot am Steuer, Tempolimit, das wären Punkte für das Wahlprogramm. „Am Ende ist das alles gar nicht so schwer“, schließt der Redner, „man muß es nur richtig anpacken.“ Schweigen im Saal, dann meldet sich ein weißhaariger, sportlich wirkender Herr zu Wort. Er meint, die Bürgerinitiative hätte schon verloren, wenn sie sich nur als „Auffangbecken für enttäuschte Wähler“ verstünde. Deshalb sollte man sich bitte etwas mehr Gedanken über das Wahlprogramm machen. Ein CDU-Abgeordneter gesteht, daß er wegen der „Erfahrungen der letzten Jahre hier gelandet“ sei. Die „Vertretungsdemokratie“, wie er sie kennengelernt habe, würde „die Entmündigung der Bürger fortsetzen“. Als Alternative bietet er die „Selbstverwaltung“ an. Offenbar, ohne selbst so recht daran zu glauben, denn die „kleinen Grüppchen“, die „überall entstehen und sich nur um ihre Interessen kümmern“, vermochten es seiner Meinung nach überhaupt nicht, „eine Kraft zu entwickeln“.

Ein „langjähriges Mitglied der CDU“ steht auf, der Bürgermeister einer kleinen Gemeinde im Kreis Hoyerswerda. Er teilt mit, daß er die Partei verlassen habe, weil es dort „schlimmer als früher“ sei. Damit meint er den Schacher um Posten und Mandate. „Es kann nicht sein“, ruft er ratlos aus, „daß Politiker vier Jahre lang machen, was sie wollen.“ Vor dem Fernseher habe er wieder einmal die Bundestagsdebatte verfolgt, die sprach für sich. „Ich will die etablierten Parteien nicht mehr wählen“, zeigt sich ein Redner innerlich zerrissen, „und die nicht etablierten kann ich nicht wählen.“

Die „etablierten Parteien“ bekommen an diesem Abend den Unmut der Leute dick aufs Brot geschmiert. Die im Saal sitzen, waren oder sind zumeist Mitglieder der CDU. Auch SPDler sind darunter. Hubert Heine macht kein Geheimnis daraus, daß bekannte Namen der Landes-SPD dem Projekt einer sächsischen „Statt Partei“ recht wohlwollend zugetan sind. Nur, welche Namen, das ist selbstverständlich streng vertraulich. Bei allem Groll auf das Parteien-Establishment könne er sich jedenfalls die Sozialdemokraten als politische Alternative zum eigenen Projekt vorstellen. Für alle Fälle.

Aber noch ist nichts entschieden. Während die meisten Teilnehmer dieses abendlichen Heimspiels gegen den Parteienfrust aufbrechen, rücken die Aktiven im kleinen Kreis zusammen. Mit den vor einem Jahr nahezu unbemerkt entschlafenen „Komitees für Gerechtigkeit“ wollen sie nicht verwechselt werden. Ihre Kraft beziehen sie aus dem Wahlerfolg der Hamburger „Statt Partei“ und aus den für die großen Parteien alarmierenden Wählerumfragen. „Die Komitees waren von Prominenten dominiert“, vergleicht Hubert Heine, „aber die Bürgervereinigungen kommen aus dem Volk.“

Vielleicht gelingt es den Parteien noch, sich bei diesen zornigen Opponenten aus dem Volk zu bedienen. Die begehrten Mandate für die Landtagswahl am 11. September sind zwar schon so gut wie verteilt. Für die Kommunalwahlen am 12. Juni dagegen reichen die eigenen Leute nicht aus. Die sächsischen Sozialdemokraten rechnen mit rund 11.000 zu besetzenden Mandaten, doch sie haben nur knapp 5.000 Mitglieder zur Verfügung. 27.000 Mitglieder zahlen bei der CDU, sie rechnet sich für die Kommunalvertretungen um die 15.000 Mandate aus. Bei Bündnis 90/ Grünen geht gelegentlich schon die Furcht vor der „Bedrohung durch Wählerstimmen“ um. Die wenigsten Sorgen braucht sich die PDS zu machen, mit 35.000 Mitgliedern die stärkste der Parteien. Auch sie wird, wie alle Parteien in Sachsen, mit offenen Listen antreten. Die FDP, die Umfragen zufolge im Landtag gar nicht auftauchen wird, hatte bei der Aufstellung der Landesliste Probleme, sich auf eine Mitgliederzahl zu einigen. Große Töne spuckt nur die DSU. Sie will bundesweit zu Wahlen auf allen Ebenen antreten. Immerhin belegt sie in Sachsen noch 1.200 kommunale Mandate. Ihre Köder wirft sie am rechten Rand der CDU aus, bei Landtagsabgeordneten, die für die Zeit nach dem 11. 9. noch keinen Job haben. Detlef Krell

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