Ein Land und seine Deponie

Mecklenburg-Vorpommern in den Krakenarmen des Müllunternehmers Hilmer / Schönberg eine Gefahr für Lübecks Tinkwasser?  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Schwerin/Schönberg (taz) – Die Beamten im Schweriner Umweltministerium an der Schloßstraße sind genervt. Seit Wochen jagen sie in ihren Papierbergen nur noch den 41 Dioxin-Fässern aus Seveso hinterher, die 1982 möglicherweise auf ihrer landeseigenen Großdeponie in Schönberg vergraben wurden. Der Kampf gegen die geheimnisvolle Fässer-Theorie bindet viel Kraft und Kopfarbeit.

Mit ihrer eigentlichen Aufgabe, der Befreiung aus einer selbstangelegten Zwangsjacke, kommt das Ministerium derweil nicht so recht voran. Der Alleinherrscher der Deponie Schönberg, Müllpapst Adolf Hilmer, kann sich im heimischen Bad Schwartau ruhig zurücklehnen, wärend die Beamten sich als Entfesselungskünstler am Hochtrapez üben. Entpuppt sich Schönberg endgültig als milliardenschwere Altlast, werden sie abstürzen und nicht Hilmer. Der hätte dann jahrelang gut an der Deponie verdient, für die Sanierung müßte hingegen die weitgehend rechtlose Eigentümerin, das Land, allein aufkommen. Wie, das ist derzeit völlig unklar: „Eine kleine Deponie kann man sanieren. Wenn Schönberg saniert werden müßte, wäre das nur möglich, wenn man im Geld schwömme“, so der zuständige Abteilungsleiter Konrad Rauter.

Während also hoch oben am Seil das Feuer schwelt, daß die Entfesselungskünstler im Ministerium zum Absturz bringen kann, winden sich die Amateure des Ministeriums nach wie vor ohne rechtes Konzept zwischen den vielen Knoten und Schlingen. Das Perfideste an dem Spiel: Die Ministerialbeamten sind von Amts wegen sogar gehalten, die Glut, die das Seil verzehrt, in Gang zu halten. Sie müssen nämlich beständig die Sicherheit der Skandaldeponie Schönberg überwachen. Und bei der Prüfung der inzwischen 165 Hektar großen Deponie stoßen sie auf immer neue Ungereimheiten.

Jetzt amtlich: kein Sperriegel vor Lübeck

Ein Beispiel: Der unterirdische Sperriegel, der zwischen der Hansestadt Lübeck und der Riesengiftmülldeponie Schönberg liegen sollte und vor Gericht schon mal als Beweis der Unbedenklichkeit der Deponie diente, existiert wahrscheinlich gar nicht. Die Grünen in Lübeck hatten schon Anfang 1992 dort ein altes Nazi-Wasserwerk entdeckt, wo durch den Riegel eigentlich kein Wasser fließen dürfte. Jetzt haben die Geologen ihre Bohrergebnisse noch einmal angesehen. Und siehe da, sie kamen zu einer Neuinterpretation: Die sogenannte Trawerinne, die als Sperriegel zwischen Deponie und Stadt mit wasserundurchlässigem Schluff gefüllt sein sollte, besteht aus wasserdurchlässigem Sand. Eine Sicherheitsbarriere für die 220.000 Lübecker fällt so von einem auf den anderen Tag weg – von Amts wegen.

Das macht noch nichts, sagt man im Ministerium. Schließlich sei der Boden unter der Deponie selbst sicher genug; die Lübecker hätten aus Schönberg vorerst nichts zu befürchten. Doch bei genauerer Nachfrage pfeift das Ministerium hörbar im dunklen Wald; inzwischen hat man dort auch Kenntnis von einer schärferen Version des sagenumwobenen Löffler-Gutachtens zur Sicherheit der Deponie.

Der DDR-Geologe Löffler hatte Mitte der achtziger Jahre sehr kritische Fragen zur Langzeitsicherheit der Deponie gestellt. Westdeutsche Behörden, die schon zu DDR-Zeiten den Transport von Millionen Tonnen Gift- und Hausmüll nach Schönberg gestatteten, wurden von den Bedenken nur unvollständig in Kenntnis gesetzt. Löfflers Erkenntnisse wurden gleich vierfach verwässert: Zunächst verlangte die DDR-Obrigkeit von Löffler eine entschärfte Version, die sie dem Westen präsentieren konnte. Diese wurde dann bundesdeutschen Stellen unter der Maßgabe zur Verfügung gestellt, das sie vertraulich bleibe. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften wertete danach die entschärfte Studie aus und erstellte einen Bericht für die zuständigen Länderabfallbehörden, die in der sogenannten Länderarbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA) zusammengeschlossen sind. Und für die LAGA erstellte schließlich der hessische Ministerialbeamte Bodo Baars eine harmlos klingende Vorlage.

Hilmers System der Gewinnabschöpfung

Die Länder, froh, das Schlupfloch für den bundesdeutschen Müll behalten zu können, stimmten noch 1988 der weiteren Nutzung von Schönberg zu.

Der Beamte Baars fand bald nach diesem Gesellenstück eine Arbeit als Geschäftsführer bei Müllpapst Hilmer. Hilmer hatte immer die richtigen Kontakte – zur Koko-Firma Intrac, die zu DDR- Zeiten auf der Deponie das Sagen hatte und zu den Landesregierungen in Kiel und Schwerin. Sogar die Torgauer Ingenieure, die kürzlich einmal in Schönberg nach den Dioxinfässern suchen sollten, machten Geschäfte mit einer Hilmer-Tochter – so hört man im Schweriner Ministerium.

Der Müllunternehmer schaffte es in den Jahren 1989 bis 1992, das gerade entstehende Land Mecklenburg-Vorpommern in Sachen Schönberg mit immer neuen Verträgen bis zur Bewegungsunfähigkeit zu fesseln. Das Land, vertreten durch Hilmers alten Bekannten, Umweltstaatsekretär Peter-Uwe Conrad (CDU), half dabei tatkräftig mit.

Wenn das Land heute durch Gebührenerhöhungen für den angelieferten Müll 100 Millionen Mark mehr einnehmen will, müßten die Abfall anliefernden Privathaushalte und Unternehmen erstmal 470 Millionen Mark mehr Gebühren zahlen. Diese wandern aber weitgehend auf Hilmer-Konten. Der Landesrechnungshof, von dem die Berechnungen stammen, nennt das Vertragssystem um die Deponie Schönberg deshalb Hilmers „Gewinnabschöpfungssystem“.

Der Bericht des Landesrechnungshofes brachte im April die Selbstfesselung des Landes ans Licht – Conrad und seine Ministerin Petra Ullmann (CDU) mußten gehen. Doch die Knoten bleiben fest verzurrt. Bevor der Müll die Deponie erreicht, muß er durch die Hände mindestens einer, häufig mehrerer Hilmer-Gesellschaften gehen, was nichts anderes heißt, als daß der Müllunternehmer profitiert. Einmal auf der Deponie angekommen, wird der Müll dort von der Hilmer-Gesellschaft DMG abgelagert. Sind die Ablagerungen weit fortgeschritten, erteilt die DMG nach eigenem Gusto einer Spezialfirma den Auftrag, das Deponiegelände auf Kosten des Landes zu rekultiviern und notwendige Sanierungsarbeiten vorzunehmen. Die Spezialfirma heißt nach den Recherchen des Rechnungshofes meist Bautech und gehört ebenfalls zum Hilmer-Imperium.

Etwa 150 Millionen Mark werde die Deponiegesellschaft DMG 1993 für die Ablagerung von 750.000 Tonnen Hausmüll und 250.000 Tonnen Sondermüll in Schönberg einnehmen, sagt ihr Sprecher Holmar Knoerzer. 60 Millionen davon gingen an eine landeseigene Gesellschaft IAG, die Eigentümerin der Deponie ist. Die muß jedoch nur rund 30 Millionen für die späteren Rekultivierung auf ein Festgeldkonto einzahlen. Auch von den restlichen Einnahmen bleibt nur wenig übrig, sagt das Ministerium. Wieviel, ist unklar; der Jahresabschluß 1992 der IAG liegt immer noch nicht vor.

Während das Land sich windet, aber offensichtlich gegen diesen vertraglich abgesicherten Hilmerschen Geld- und Müllkreislauf wenig unternehmen kann, bleibt es gleichzeitig Eigentümerin der Deponie und auch des dort abgelagerten Mülls. Wenn also irgend etwas schiefgeht, muß das Land zahlen.

Nur ein Hoffnungsschimmer bleibt: Hilmer ist um eine Imageverbesserung bemüht. Der neue Schweriner Umweltstaatssekretär Karlheinz Anding bleibt jedoch skeptisch: „Eine Konzessionsbereitschaft hat sich in Vorgesprächen bislang nicht verifizieren lassen.“ Hilmers Deponiesprecher Knoerzer wiegelt derweil ab: „Keine Sorge, die Wahrscheinlichkeit eines Lecks oder Störfalls in Schönberg ist äußerst gering.“ Wenn aber doch etwas passiert? „Ein Hausbesitzer, der seine Blitz- Hagel- und Donnerversicherung vergißt und dem das Dach wegfliegt, der muß eben zahlen.“