piwik no script img

„Prügelei“ um Praktikum

■ Bundesweit werben StudentInnen mit kreativen Aktionen für ihre Interessen

Ohne Phantasie keine Aufmerksamkeit: In Köln flogen 10.000 Flugblätter vom Dom, in Bremen zog ein Protestchor mit umgetexteten Weihnachtsliedern durch die Stadt, und in Würzburg köpfte ein Scharfrichter auf dem Dominikanerplatz symbolisch „Langzeitstudenten“. Überall, wo StudentInnen gegen Zwangsexmatrikulation, Studiengebühren und „Zweiklassenstudium“ demonstrierten, wurde das Symbolische groß geschrieben. Denn mit rituellen Demonstrationen durch die Innenstädte der Universitätsstädte läßt sich kein Interesse mehr wecken. Wer auf knappe oder nicht vorhandene Praktikaplätze aufmerksam machen will, wie die Würzburger StudentInnen, der muß schon eine „kleine Studentenprügelei“ um die raren Plätze inszenieren, damit überhaupt jemand hinsieht.

Jörn Kandel, der an der Uni Würzburg die Aktionswoche gegen die Hochschulreform koordiniert hat, weiß, daß Sit-ins, Besetzungen oder Demonstrationen nur eine „schwache Außenwirkung“ haben. „Man muß teilweise makabre Sachen machen, damit die Öffentlichkeit überhaupt hinguckt. Ohne spektakuläre Aktionen bringt das nichts.“ – In Köln haben Archäologie- und Geschichtsprofessoren ihre Vorlesungen auf den Domvorplatz und in Straßenbahnen verlegt. In Köln wollten die Studis mit Stichworten wie „Schmalspurstudium“, „Fachidiotentum“ und „sozialer Numerus Clausus“ die Einkaufspassanten über das bildungspolitische Sparprogramm informieren. Dieter Asselhoven vom Asta-Vorstand der PH in Köln sieht im Vergleich zu den Un(i)-Mut-Demonstrationen 1988 einen politischen Fortschritt: „Die Bereitschaft und das praktische Engagement und die Phantasie sind viel größer als vor fünf Jahren.“

Auch in Göttingen hat man nicht nur Fachbereiche besetzt, sondern versucht, mit „phantasievollen Protestformen“ auf Stellenstreichungen und kürzere Regelstudienzeiten aufmerksam zu machen. Für einen Tag wurde der Campus zum Kuchenbasar. Ein Sprecher des Göttinger Aktionsrates findet die Aktionen gelungener als während des Un(i)-Mut-Streiks 1988: „Die Konsumgeilheit der normalen Leute ist größer geworden, deshalb muß man mit mehr Phantasie das Interesse der Leute wecken.“ Rüdiger Soldt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen