: Klöße so zäh wie Tennisbälle
■ Das Essen im Knast ist scheußlich oder: Wenn der Koch "Ol !" in den Futterkübel ruft
Von allen Dingen, mit denen ein Knacki bis zum Erbrechen konfrontiert wird, nimmt das Anstaltsessen einen ganz besonderen Platz ein. Sei es nun der Nato-Kitt, der den Gefangenen an Werktagen unter dem Decknamen „Kartoffelbrei“ gereicht wird, oder der Pichelsteiner Eintopf, der in erbarmungsloser Regelmäßigkeit immer wieder in den Essenskübeln auftaucht und gewöhnlich riecht, als hätte ein gewisser Pichel reingesteinert – das Essen im Knast ist schlecht.
Sehr schlecht.
Welcher Gefangene kennt nicht die Montage, an denen der zugefügte Eintopf den Wunsch im Häftlingsherzen keimen läßt, den Küchenchef mit der Masse und einem Trichter heimzusuchen, um ihm unkatholischerweise ein viertelhundert Löffel der trüben Substanz zu verabfolgen? Und wer kennt nicht die Feierabende, an denen der „gepreßte Indianer“ (Corned beef in Scheiben) einen schäbig aus der Abendbrottüte angrinst?
Ganz besonders scheußlich ist auch die Schweinskopfsülze, dicht gefolgt von den Hasenkeulen, um nur mal die Spitzenreiter der diskriminierenden Nahrungsmittelsammlung aufzuzählen. Kurz: Was die Küche in Tegel als „Essen“ absondert, hat gewisse Ähnlichkeiten mit Straftatbeständen, denen der ein oder andere Knacki seinen Aufenthalt im Kittchen verdankt.
Da man selbst bei wohlwollender Begutachtung des Dargebotenen den Verpflegungssatz der Justizverwaltung kaum aufzuspüren vermag, stellt sich die Frage, wie es Köche fertigbringen, den horrenden Betrag von 6,30 Mark pro Person und Tag in eine übelriechende Kartoffelsuppe zu verwandeln. Oder gar in sogenannte Klöße, deren Zähigkeit an Tennisbälle heranreicht.
Dabei lesen sich die Speisepläne in der Justizvollzugsanstalt meistens ganz gut. Beim Überfliegen der Zettel assoziiert man das Gedruckte unwillkürlich mit deftiger Hausmannskost. Exotisches mischt sich mit Althergebrachtem, Orient mit Okzident, und der deutsche Hinterhofklassiker „Spinat mit Kartoffeln“ steht in magenschleimhautanregender Eintracht neben indogermanischen Knüllern wie Curryreis.
Aber leider wird ein Bohnenlui (Knastjargon für „Bohneneintopf“) nicht dadurch zum „Mexikanischen Eintopf“, daß er bien rapido gemacht ist oder der Küchenchef beim Abfüllen in die Futterkübel „Olé!“ ruft.
Man wird den Verdacht einfach nicht los, daß die euphemistischen Umschreibungen für diese Kreationen nur dazu dienen, die Unzulänglichkeiten zu verschleiern, die ein habitueller Mangel an handwerklichen Fähigkeiten nach sich zieht. Von wegen „Leipziger Allerlei“! Spätestens seit der Osten dieses Landes Beitrittsgebiet geworden ist, gibt es im Tegeler Knast genug Häftlinge, die wissen, wie ihr „Allerlei“ auszusehen hat.
Hin und wieder kommt es vor, daß ein Gefangener aus organisatorischen Gründen kein Mittagessen kriegt. Weil er bei Gericht war oder Sprechstunde hatte, ist seine Fleischportion verschwunden. Der Betreffende muß sich dann mit seinem Stationsbeamten in der Küche melden und einen Ersatz verlangen. Mit derartigen Sonderwünschen behelligt, zeigen die Anstaltsköche dann regelmäßig, daß der Übergang vom diensthabenden Koch zum Dienstabwehrsaucier ein fließender ist. Der Häftling wird vorwurfsvoll beaugapfelt, manchmal verhört, um am Schluß zwei Eier der Güteklasse DreiB in die Hand gedrückt zu kriegen. Wie gut, daß beim Gefangeneneinkauf Multivitamintabletten bestellt werden können.
Lobend muß und soll an dieser Stelle erwähnt werden, daß man den Tegeler Gefangenen seit einigen Monaten das unbeschreibliche „Lungenhaschee“ erspart hat, gekochte gemahlene Rinderlunge mit Gurkenscheiben obendrauf. Es war auch wirklich zu schlimm. Tierversuche damit sollen ergeben haben, daß die Hunde sich noch Tage danach weigerten, mit dem Schwanz zu wedeln. Peter Lerch
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