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■ ÖkolumneRecht aufs Auto Von Hermann-Josef Tenhagen

„Jeder hat das Recht, ein Auto mit sich zu führen. Der Staat ist zur Förderung des Autofahrens verpflichtet. Das Nähere regeln die Bundesgesetze.“ Den Verfassungsartikel kennen Sie noch nicht. Kein Wunder, er wird uns auch seit Jahren verheimlicht. Aber de facto ist er eine notwendige Folge des staatlichen Anspruchs, gleiche Lebensbedingungen für uns alle herzustellen.

Die Entwicklung des Rechts auf Automobilität kann auch als Zeichen staatlicher Effizienz gelesen werden. Jede(r) zweite hat schon ein Auto, aber längst nicht jede(r) zweite einen erreichbaren Bahnanschluß. Nicht einmal eine Bushaltestelle in Fußnähe gibt es für große Teile der Bevölkerung. Ersatzweise liegt der Bau von Parkplätzen natürlich nahe, sagte man sich in den staatlichen Behörden. Ein Recht auf Auto ist demnach das sinnvollste Vehikel, um gleichwertige Lebensbedingungen herzustellen und dem Bedürfnis nach Mobilität gerecht zu werden.

Diese Art staatlicher Grundrechtsauslegung hat Konsequenzen. Eine ist, daß bei jedem Neubau ausreichende Parkplätze für die Bewohner nachgewiesen werden müssen. Ein Parkplatz von 35 Quadratmetern und ein Kinderzimmer von 10 Quadratmetern sind Es-Foto: Eric-Jan Ouwerkerk

sentials bundesdeutschen Wohnungsbaus. Eine weitere hat der damalige Bundesverkehrsminister Georg Leber (SPD) schon vor 20 Jahren formuliert. Niemand in Deutschland soll es weiter als 20 Kilometer zum nächsten Autobahnanschluß haben.

Verzichtet werden kann unterdessen auf den ach so teuren öffentlichen Nahverkehr. Öffentliche Mobilität ist eben kein Grundrecht und wird deswegen auch nicht staatlich vorgeschrieben – sie wird seit neuestem sogar explizit in das Belieben der jeweiligen Kommune gestellt. Die Versorgung der BundesbürgerInnen mit Bahnanschlüssen ist mit der Verabschiedung der Bahnreform keine hoheitliche Aufgabe mehr. Und wenn Ihre Kommune den Bahnanschluß nicht mehr bezahlen kann oder will, haben Sie als autoloser Mensch eben Pech gehabt.

Eine private Bahn sei doch effizienter, heißt es zur Begründung. Wohl möglich, ich kenne die Schlangen an Bahnfahrkartenschaltern auch. Allerdings sollten mit dem gleichen Argument dann möglichst auch die Polizei und das Finanzamt privatisiert werden. Wetten, daß private Steuereintreiber, die streng nach Recht und Gesetz vorgehen, aber am Ergebnis beteiligt werden, mehr einnehmen, aber weniger kosten als Deutschlands Finanzämter?

Zurück zum Recht auf Automobilität: Zur Unterstützung dieses Grundrechts gehört auch, daß der Weg zur Arbeit am besten umsonst mit dem Auto zurückgelegt werden kann. 70 Pfennige je Kilometer dürfen KollegInnen und FreundInnen künftig für jeden Autokilometer auf dem Weg zur Arbeit von der Steuer absetzen.

Ich bin neidisch, obwohl sich der automobile Arbeitsweg für mich zeitlich kaum lohnen würde. Mein Weg zur Arbeit ist ungefähr sechs Kilometer lang, macht hin und zurück 12 Kilometer. Multipliziert mit 220 Arbeitstagen sind das 2.640 Kilometer. Mit dem Auto zurückgelegt, könnte ich 2.640 mal 70 Pfennige, also 1.848 Märker vom zu versteuernden Einkommen abziehen, knapp 400 Mark müßten dabei in der Kasse bleiben. Aber ich fahre Bus. Die Jahreskarte für Berlin kostet rund 700 Mark, und die kann ich nicht einmal komplett absetzen, weil das Finanzamt argumentiert, daß ich die Karte ja auch privat nutze. Mein Freund am Niederrhein pendelt täglich sogar 60 Kilometer zur Arbeit. Als Autofahrer braucht er deshalb für satte

16.940 Mark seines Einkommens keine Steuern zu zah-

len.

Theo Waigel, dem der öffentliche Verkehr zu teuer ist, verzichtet für das Grundrecht auf Automobilität auf Steuereinnahmen von jährlich rund 5 Milliarden Mark. Das ist aber ein Klacks, verglichen mit den Gesamtkosten, die dieses Recht nach sich zieht. Insgesamt werden die 30 Millionen Autos allein im Westen Deutschlands staatlicherseits mit 200 Milliarden Mark subventioniert, hat das Heidelberger Umweltprognose-Institut (UPI) ausgerechnet. Reichlich 6.000 Mark pro Jahr und Blechkiste. Und ich hab' immer noch kein Auto. Selber schuld, wenn ich nicht rechnen kann?

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