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Was wissen Kinder über Sexualität?

Eine Studie zeigt: Kinder im Vorschulalter haben wenig Kenntnisse über die Sexualität der Erwachsenen / Aber der Einfluß von Fernsehen, Videos und Zeitschriften wird immer größer  ■ Von Sonja Striegl

Professionelle Helfer und Wissenschaftler haben ein verständliches Interesse an möglichen Hinweisen auf einen sexuellen Mißbrauch eines Kindes. Altersuntypisches sexuelles Wissen und Verhalten von Kindern ist als besonders sicherer Indikator auf einen sexuellen Kindesmißbrauch in den letzten Jahren ins Gerede gekommen. Auch die Wissenschaft bietet keine eindeutige Antwort. Die eine Studie nennt altersinadäquates sexuelles Wissen nach körperlichen Verletzungen als bedeutendstes Signal. In einer anderen wurde dagegen kein Zusammenhang zwischen Wissen und Mißbrauch festgestellt.

In Anbetracht sich verändernder gesellschaftlicher Einstellungen zu Sexualität und des vereinfachten Zugangs für Kinder zu sexuellem Material wie pornographischen Videos oder Zeitschriften stellt sich die Frage: Was ist heutzutage überhaupt altersangemessen und was nicht?

„Detailliertes Wissen über sexuelle Akte Erwachsener scheint bei Kindern im Vorschulalter weiterhin sehr unüblich zu sein“. Zu dieser vorsichtigen Einschätzung kommen Renate Volbert und Annekathrin Knüppel vom Institut für Forensische Psychiatrie an der Freien Universität Berlin. Das Sexualwissen dieser Altersgruppe hängt meist mit Geburt und Schwangerschaft zusammen: „Die Eltern machen ein Baby.“

Die beiden Berliner Psychologinnen haben 147 Kindern im Alter von zwei bis sechs Jahren verschiedene Bilder vorgelegt und sie zu unterschiedlichen Dimensionen des Themas Sexualität befragt wie Geschlechtsidentität, Schwangerschaft, Geburt und Zeugung sowie sexuelle Handlungen von Erwachsenen als auch von Kindern. Die jungen Testpersonen erzielten den höchsten Wert im Bereich „Geschlechtsunterschiede“, das geringste Wissen hatten sie in bezug auf Zeugung. Wissensunterschiede zwischen Mädchen und Jungen gab es nicht, dafür „erwartete“ deutliche Alterseffekte. Im wesentlichen bestätigte sich der in älterer Literatur beschriebene Entwicklungsverlauf des kindlichen Interesses an Sexualität: Ab dem Alter von zwei Jahren stellt das Kind Fragen zu Geschlechtsunterschieden, es kann Geschlechtszuordnungen vornehmen, ohne sie jedoch begründen zu können. Mit drei Jahren erklärt sich die Mehrheit der Kinder Geschlechtszuordnungen anhand äußerer Merkmale wie beispielsweise Haarlänge und Kleidung. Ab vier stellen Kinder Fragen zu Schwangerschaft und Geburt, ihr Wissen über Geburtsweg und intrauterines Wachstum ist sehr vage. Mit fünf Jahren schließlich können Geschlechtszuordnungen mit genitalen Unterschieden begründet werden.

Die Ergebnisse der Kinderinterviews wurden indirekt durch die Eltern bestätigt. 133 Eltern haben einen Fragebogen beantwortet – das ergab 116 zusammenhängende Eltern-Kind-Fälle. Sie gaben an, daß die Zwei- bis Vierjährigen fast gar keine Fragen zu Empfängnis und Geschlechtsverkehr gestellt hatten. Bei den Fünf- und Sechsjährigen waren es dann jeweils 40 Prozent.

Die Antworten der Eltern sollten darüber hinaus helfen zu erklären, inwiefern das Umfeld des Kindes sein Wissen beeinflußt. So hat die Sexualerziehung durch die Eltern – also welche Themen mit den Kindern besprochen werden – einen großen Einfluß auf den Wissensstand der Kinder. Dieser Einfluß war bei Fünf- bis Sechsjährigen geringer. Möglicherweise weil in diesem Alter schon andere Informationsquellen wichtig sind, wie Kindergarten oder Gleichaltrige.

Das Ausmaß an Sexualerziehung durch die Eltern wiederum hing ab vom Alter des Kindes und den Einstellungen der Eltern zur kindlichen Sexualität. Insgesamt erklärten das Alter des Kindes, seine intellektuellen und verbalen Fähigkeiten, die Sexualerziehung durch die Eltern sowie die vom Kind gestellten Fragen fast zwei Drittel der Unterschiede des Gesamtwissens der befragten Kinder.

Die Frage nach altersinadäquatem Sexualwissen, das möglicherweise auf sexuellen Mißbrauch deutet, können die beiden Wissenschaftlerinnen „nicht abschließend beantworten“. Zweifellos ist ein einfühlsamer diagnostischer Prozeß nötig, um die Frage nach einem sexuellen Mißbrauch zu beantworten – ein einzelner Hinweis reicht dazu nicht aus.

In Deutschland hat sich zur Beurteilung von Kindern, die möglicherweise sexuell mißbraucht worden sind, die „aussagepsychologische Glaubhaftigkeitsbegutachtung“ durchgesetzt. Dabei kommt der Aussage des Kindes eine besondere Bedeutung zu. Sie wird auf bestimmte Merkmale untersucht, die auf einen wahren Erlebnishintergrund der Aussage hindeuten. Eines dieser Kennzeichen ist dem inadäquaten sexuellen Wissen ähnlich (dem Sinn nach, nicht der Bedeutung): „die phänomengemäße Schilderung unverstandener Handlungselemente“, beispielsweise wenn die Ejakulation mit „Pippimachen“ beschrieben wird. Nicht zu vergessen ist aber, daß es eben nur ein Kennzeichen unter vielen ist, die erst alle zusammengenommen für die Qualität des Realitätsgehalt der Aussage sprechen. Außerdem ist die Aussageanalyse eingebunden in eine intensive Untersuchung.

Volbert und Knüppel empfehlen, „der Quelle des Wissens nachzugehen, falls ein Kind über ein Wissen über sexuelle Akte verfügt“. Dies kann ein sexueller Mißbrauch sein, muß aber nicht. Pornographische Videos und Zeitschriften sowie real beobachtete sexuelle Handlungen können genauso die Ursache sein.

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