: Arbeitsbeschaffung für US-Rüstungsschmieden
Militärdoktrin setzt weiter auf Hochrüstung / Exporte nach Asien und in den Nahen Osten ■ Aus Washington Andrea Böhm
So hatte es sich die Friedensbewegung immer erträumt: Im Atombombenlabor von Los Alamos brüten die WissenschaftlerInnen nun über verbesserte Lasertechnik für CD-Player. Auf dem ehemaligen US-Militärbasen lassen sich Universitäten, Hotels, Computerfirmen nieder; Landebahnen ehemaliger Luftwaffenstützpunkte werden in private Flughäfen umgewandelt. Und im US-Kongreß haben zwei Abgeordnete einen Gesetzentwurf eingebracht, wonach Waffenexporte in Zukunft nur genehmigt werden dürfen, wenn folgende Kriterien erfüllt sind: das Empfängerland darf sich in keiner Konfliktregion befinden, muß die Menschenrechte und Prinzipien der Demokratie beachten und im „United Nations Conventional Arms Register“ seine Rüstungsimporte und -exporte offenlegen.
Das alles ist inzwischen Realität – und doch kommen Friedens- und Umweltgruppen, think-tanks und Haushaltsexperten zur selben Schlußfolgerung, wenn es um die Rüstungspolitik der ersten Administration nach Ende des Kalten Krieges geht: „Business as usual.“ Um Mißverständnissen vorzubeugen: die Hochkonjunktur für den militärisch-industriellen Komplex, die unter der Präsidentschaft eines Ronald Reagan rüstungsorientierten Regionen einen enormen Boom bescherte, ging unter seinem Nachfolger George Bush zu Ende. Doch die von manchen erhoffte Zäsur durch den Einzug des demokratischen Präsidenten Bill Clinton ins Weiße Haus hat sich nicht eingestellt.
Große Unterschiede zum Budgetentwurf der Bush-Regierung könne er nicht feststellen, konstatierte John Isaacs, Direktor des „Council for a Livable World“, eines Research-Instituts in Washington, als sich der Kongreß und die Clinton-Administration auf ein Rüstungsbudget in Höhe von 261 Milliarden Dollar für das Haushaltsjahr 1994 geeinigt hatten. Das sind 2,5 Milliarden Dollar weniger als das Pentagon gefordert hatte, und 12 Milliarden Dollar weniger als im letzten Haushaltsjahr unter Clintons Vorgänger George Bush veranschlagt worden waren. Zwar räumt Isaacs ein, daß es für einen jungen Präsidenten aus der Demokratischen Partei, der zudem nie eine Uniform getragen hat, sehr viel schwerer ist, die Rüstungsausgaben deutlich zu kürzen, aber „das Verteidigungsbudget ist eindeutig zu hoch“.
Zwei Golfkriege zugleich sollen führbar sein
Isaacs stellt vor allem jene strategische Prämisse in Frage, die der kurz- und mittelfristigen Planung des Rüstungsetats zugrunde liegt. Der im Sommer veröffentlichte „Bottom-Up-Review“ soll die Bedrohungs- und Konfliktszenarien und die eigenen militärischen Strukturen nach Ende des Kalten Krieges neu bestimmen. Aber auch weiterhin geht das Pentagon davon aus, daß die USA jederzeit in der Lage sein müssen, gleichzeitig zwei Kriege a la „Operation Desert Storm“ zu führen. Neu waren diese theoretischen und strategischen Ergüsse nicht – die Doktrin galt schon unter George Bush.
Und ebenso wie Bush ist sich auch Clinton mit den Militärs einig, daß trotz sinkender Militärausgaben unter allen Umständen die industrielle und technologische Basis für die Rüstungsproduktion erhalten bleiben muß – auch wenn dafür U-Boote, Kampfbomber oder Raketen in Auftrag gegeben werden, deren militärische Notwendigkeit nicht einmal mehr Pentagon-MitarbeiterInnen erklären können.
Ein Beispiel ist das U-Boot „Seawolf“, dessen Stückpreis derzeit bei 2,4 Milliarden Dollar liegt. Mit der Sowjetunion ging auch die militärische Legitimation für diese Produktion unter, doch die Navy will nun ein drittes U-Boot in Auftrag geben. Der Grund: General Dynamics, dessen „Electric Boat Division“ den „Seawolf“ im Hafen von Groton (Connecticut) baut, soll über die Durststrecke der nächsten Jahre gebracht werden – bis Ende des Jahrzehnts ohnehin eine neue Generation von U-Booten in Auftrag geht. General Dynamics hat mit dieser Entscheidung das Monopol für den Bau von U- Booten gewonnen. Der einzige andere Konkurrent, der Tenneco- Konzern und seine Newport News Shipbuilding & Dry Dock Company wird in Zukunft zuständig sein für den Bau von Flugzeugträgern.
Gewinner dieser Form von Industriepolitik ist außerdem die McDonnel Douglas Corporation. Deren C-17 Transportflugzeug, das nach einhelliger Meinung erstens überteuert und zweitens nicht flugtauglich ist, wurde mit einem Haushaltsposten von 2,3 Milliarden Dollar gerettet. Ebenso der F-22-Kampfflieger der Firma Lockheed, der für die nächste Flugzeuggeneration der US-Air Force die Überlegenheit über die Luftwaffe der Sowjetunion garantieren sollte, die bekanntermaßen nicht mehr existiert.
Alle genannten Rüstungsprojekte waren in einer Studie des Congressional Budget Office (CBO), einem überparteilichen Parlamentsdienst, zur Streichung empfohlen worden.
Zwar werden U-Boote und Flugzeugträger für den Eigenbedarf gebaut, doch ohne rege Exporttätigkeit wird sich die industrielle Basis für Rüstungsproduktion nicht aufrechterhalten lassen. Die Proliferation von Nuklearwaffen zu verhindern, ist erklärte außenpolitische Priorität der Clinton-Administration. Doch Maßnahmen und Verhandlungen zur Beschränkung konventioneller Rüstungexporte „nimmt diese Regierung einfach nicht ernst“, sagt Mark Sternman von Peace Action, einem Zusammenschluß von US- Friedensgruppen.
Ein erster Ansatz, die sogenannten P-5-Gespräche zwischen den größten Rüstungsexporteuren und den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats USA, Rußland, Frankreich, Großbritannien und China waren im Oktober 1992 abgebrochen wurden: China hatte die Runde verlassen aus Protest gegen die Ankündigung des damaligen US-Präsidenten Bush, den Verkauf von 200 F-16-Bombern an Taiwan zu genehmigen. Diesen Deal befürwortete damals auch der demokratische Präsidentschaftskandidat Bill Clinton.
Als Präsident hat Clinton bislang keine Schritte unternommen, die Gesprächsrunde, zu der nach Sternmans Ansicht auch die Bundesrepublik hinzugezogen werden sollte, wieder ins Leben zu rufen. Statt dessen sucht man neue Absatzmärkte, vor allem in Asien, und versorgt alte Kunden, vor allem im Nahen Osten.
Vor diesem Hintergrund, so Sternman, hat der oben zitierte Gesetzentwurf zur Beschränkung von Rüstungsexporten keine reelle Chance, angenommen zu werden. „Aber es ist eine Gelegenheit, das Thema wieder an die Öffentlichkeit und ins Parlament zu tragen.“ Beide haben bekanntermaßen ein schlechtes Gedächtnis. Wer erinnert sich heute noch an Somalia und die Worte jenes Pentagon-Beamten: „Was wir und die Russen da im sogenannten Kalten Krieg an Waffen geliefert haben, reicht für hundert Jahre Bürgerkrieg.“
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