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Das Leben im Computernetz Von Andrea Böhm

Ich gebe zu, ich bin noch nie im Cyberspace auf eine Party gegangen. Ergo bin ich auch noch nie in den Genuß eines Cyber-Flirts gekommen. Das liegt daran, daß ich nicht dahin gehe, wo man Leute trifft – auf internet. Das ist die Computerpiste, auf der das Leben spielt. Oder, wie die Insider in Anlehnung an Saddam Hussein sagen: „Die Mutter aller Computernetze.“

Internet ist ein elektronisches Relikt aus der Zeit des kalten Krieges – eingerichtet, um im Fall eines Atomschlags zu gewährleisten, daß die militärische Kommunikation auch dann noch funktioniert, wenn Telefonleitungen, Radio- und Fernsehstationen schon längst zerstört sind. Heute ist es eine wild sprießende und wild kommunizierende Gemeinde von HackerInnen und einsamen Herzen, WissenschaftlerInnen und VerschwörungstheoretikerInnen, StudentInnen und Sportfreaks. Hier gibt es 5.000 Diskussionsgruppen und 2.500 elektronische Rundbriefe, in denen Menschen, die sich nie gesehen haben, über Gentechnologie und Geheimdienste diskutieren, über Country-music plaudern, Esperanto lernen oder den wahren Hintergründen der Ermordung John F. Kennedys auf der Spur sind. Das Weiße Haus möchte internet gern zum Gerüst seiner „National Information Structure“ machen – und sowohl Bill Clinton als auch Al Gore gehören zur internet-Bevölkerung. Anschrift: president& whitehouse. Gov

Zugegeben: Es ist schwierig, sich vorzustellen, beim Anblick seines Desktop-Computers, das Klacken der Keyboardtasten im Ohr, mit irgend jemandem eine Romanze zu beginnen, der zweitausend Kilometer weit weg ebenfalls vor seinem Toshiba, Apple oder Macintosh sitzt. Manche schaffen's. Darauf deuten zumindest die Nachrichten hin, die mensch am internet relay chat hinterläßt – einer Art Schwarzem Brett im Computerzeitalter: „Ich mache jetzt Deine Bluse auf“, tippte er und drückte die Enter-Taste. Was sie daraufhin tat... well, was geht uns das an?

Bevor man überhaupt auf solche Gedanken kommt, muß mensch die Spiel-, Sprach- und Benimmregeln lernen. Es gibt, wie unlängst das US-Nachrichtenmagazin Time erläuterte, eine netiquette für AnfängerInnen.

Erste Regel: Nie die im Netz herumsausenden internet-Profis belästigen, sondern FAQ studieren. Gemeint ist das file für frequently asked questions. Zu deutsch: häufig gestellte Fragen.

Zweite Regel: Ironie ist eine Verfeinerung der zwischenmenschlichen Kommunikationstechnik, die sich via Computer nur schwer vermitteln läßt. Komische Bemerkungen werden auf internet deshalb mit einem Semikolon und einer rechtsgekrümmten Klammer versehen:;). Wer jetzt den Kopf um neunzig Grad nach links neigt, erkennt ein Lächeln.

Dritte Regel: Nie ganze Worte in Großbuchstaben schreiben – es sei denn, man möchte jemanden anschreien.

Vierte Regel: Keine Anzeigen in die E-Mail stecken. InternetianerInnen machen keine Geschäfte und Profite. Sie hassen Kommerz. Internet gehört niemandem, wird von niemandem kontrolliert – und ist umsonst. Deshalb halten sich die InternetianerInnen nach den Worten eines ihrer Gründer für den „perfekten marxistischen Staat“. Mensch, Karl, du Schnalle – hast dich einfach in den Cyberspace verdrückt.

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