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■ In vorauseilender Fremdenfeindlichkeit ernennen Politiker wieder Ausländer zu Wahlhelfern wider WillenStreichhölzer fürs Volk

Henning Voscherau ist nicht irgendwer. Der Mann ist Regierungschef eines Bundeslandes und Bürgermeister einer Stadt, die immerhin den Anspruch erhebt, das Tor zur Welt zu sein. Wenn Voscherau sich zu Wort meldet, dann kann er auf breitere Resonanz hoffen als der SPD-Kreisvorsitzende von Buxtehude. Jetzt hat Henning Voscherau via Bild laut vor sich hingedacht. Was CDU-Mann Heitmann noch ungeschützt herausplapperte, lenkt ein SPD-Landeschef nun bis zur Konkretion: Um die Entstehung von Ghettos zu verhindern, will Voscherau den Zuzug von Ausländern in bestimmte Stadtteile unterbinden. Notfalls mit einer Grundgesetzänderung. Auf die Idee, das verbriefte Bürgerrecht auf Freizügigkeit nach Nationalität und Herkunft (warum nicht auch nach Hautfarbe?) zu beschränken, muß eine Stammtischrunde in Altona oder Kreuzberg erst einmal kommen.

Was der SPD-Mann da in vorauseilender Fremdenfeindlichkeit betreibt, ist die Fortsetzung der Asyldebatte mit schärferen Mitteln: Das Feindbild „Asylant“ wird mangels „zuströmender“ Masse durch den nächstgrößeren gemeinsamen Nenner „Ausländer“ ersetzt. Die Angst vor „Überfremdung“ auf Landesebene wird ins unmittelbare Wohnumfeld verlagert. Nach der Sicherung der Landesgrenzen kommt nun die ganz private Festung rund ums eigene Stadtquartier. Aus den Augen mit all dem Fremden, auf daß die Fremdenfeindlichkeit aus dem Sinn gerät. Das Grundgesetz wird's schon richten. Da kann die Bilanz der ausländerfeindlichen Anschläge nach der Asylrechtsänderung zehnmal die tödliche Wirkung dieses Patentrezeptes dokumentieren.

Voscheraus Vorschlag kommt zu einem Zeitpunkt, wo die Verfassungskommission gerade darum rangelt, ob der Schutz ethnischer Minderheiten endlich ins Grundgesetz aufgenommen wird. Er kommt zu einem Zeitpunkt, wo erste Vorschläge für ein Anti-Rassismus-Gesetz diskutiert werden. Er kommt zu einem Zeitpunkt, wo die doppelte Staatsbürgerschaft aus den von Voscherau beschworenen Ausländerghettos mit einem Federstrich deutsche Stadtteile machen würde. Aber der Vorschlag kommt eben auch zu einem Zeitpunkt, wo der Wahlkampf in der Geschichte der Bundesrepublik begonnen hat.

Eine Woche vor Voscherau hat Theo Waigel bereits den Auftakt gemacht. Die Frage der nationalen Identität und die „Angst vor Überfremdung“, so verkündete Theo Waigel nach einer Klausurtagung der CSU, soll das zweitwichtigste Wahlkampfthema seiner Partei werden. Auch Theo Waigel ist nicht irgendwer. Auch er ist intelligent genug, zu wissen, daß Botschaften aus seinem Mund immer auch Signale sind. Eine stattliche Anzahl von renommierten Sozialwissenschaftlern hat die Politiker jetzt eindringlich gemahnt, die ethnische Zugehörigkeit von Menschen nicht im Wahlkampf zu instrumentalisieren. Doch ihr Aufruf zum verantwortungsvollen Selbstverzicht auf rechten Populismus trifft schon jetzt auf verschlossene Ohren. Statt klugen Konzepten oder Wahlversprechen werfen die Zündler in Nadelstreifen längst wieder Streichhölzer unters Volk. Vera Gaserow

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