Die Welt nach Gatt: Ein Szenario

Was bedeutet das Welthandelsabkommen für die Wirtschaft? / Verstärkter internationaler Wettbewerb ist für die Industrieländer nicht nur vor Vorteil, vor allem Schwellenländer profitieren  ■ Von Nicola Liebert

Berlin (taz) – So ganz klar scheint es selbst den Wirtschaftsbossen nicht zu sein, was der bevorstehende Abschluß der Gatt- Verhandlungen für die Wirtschaft bedeutet. Sonst sähe sich wohl kaum ein Konzern wie Shell dazu veranlaßt, eigens eine Expertenrunde einzuberufen. Diese kam jedoch nicht etwa zu dem Schluß, daß eine Welt ohne Handelsbarrieren das Paradies auf Erden für die Unternehmen sein würde. Eine Handelsliberalisierung wird den internationalen Wettbewerb verschärfen. Die schon heute effizient operierenden Konzerne werden davon profitieren, die anderen werden es in einer zusammenwachsenden Welt schwerer haben.

Je stärker der Welthandel durch multinationale Abkommen geregelt wird, desto weniger Möglichkeiten haben nationale Regierungen, zum Schutz eigener Industrien einzugreifen. Die Errichtung von Zollmauern wird erschwert, und zudem greift das neue Gatt-Abkommen auch in die inländische Politik ein, etwa was Subventionen für die heimischen Erzeuger und technische Standards oder Umweltauflagen anbelangt.

Für manche Industrien dürften sich neue Chancen ergeben, insbesondere für solche aus den Schwellenländern. So hat beispielsweise in aller Stille Indonesien eine hochmoderne Papierindustrie aufzubauen begonnen. Wenn wie geplant im Laufe von zehn Jahren sämtliche Zölle auf Papier abgeschafft werden, so dürften die indonesischen Papierhersteller groß rauskommen. Auch in der Stahlindustrie werden die Karten neu verteilt. Das chinesische Unternehmen Capital Steel etwa profitiert kräftig vom Wirtschaftsaufschwung vieler ostasiatischer Staaten. Noch ist China kein Gatt-Mitglied. Wenn tatsächlich die Stahlsubventionen und Zölle abgebaut werden, kommt China als künftiges Gatt-Land jedoch bald in den Genuß dieser niedrigeren Zölle. Hier entsteht ein gefährlicher Konkurrent für die sklerotische Stahlindustrie der alten Industrieländer.

Ähnlich sieht es für die Luftfahrtindustrie aus. Noch streiten sich nur die USA und die EU über die Subventionen für die Flugzeughersteller. Im Hintergrund warten derweil russische Firmen wie Tupolew nur darauf, daß Rußland als Gatt-Mitglied zugelassen wird. Russische Flieger sind auch ohne nennenswerte Subventionen 30 Prozent billiger als die westlichen Modelle.

Sicherlich werden die multinationalen Konzerne nun nur noch an wenigen Produktionsstandorten arbeiten wollen. Die bisherige Strategie zum Unterlaufen von Zollbarrieren – innerhalb der geschützten Märkte Fabriken aufzubauen, wie es etwa die japanischen Autobauer in Großbritannien und die deutschen in den USA taten – wird überflüssig.

Doch trotz einer Einigung bei den Genfer Gatt-Verhandlungen: Bevor die prognostizierten Effekte eintreten, wird noch viel Zeit ins Land gehen. Denn viele Entscheidungen sind ja nun erst einmal nur vertagt, andere Regelungen werden erst im Laufe der nächsten zehn Jahre umgesetzt, wie beispielsweise der verbesserte Zugang der Entwicklungsländer zu den Textilmärkten der Industrieländer. Nach Ablauf dieser Gnadenfrist ist jedoch schon ein sicherer Verlierer des Gatt-Abkommens auszumachen: die US-amerikanische und westeuropäische Textilindustrie. Nicola Liebert