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Vom Blaumann ins Sweatshirt

■ Auch die europataugliche Ausbildung von Physiotherapeuten an der Charit ist vom Stellenabbau bedroht / Anders als im Westen werden die Auszubildenden auch in der Praxisphase von Lehrpersonal betreut

Vor kurzem stand Mario Steinke noch im Blaumann an seiner Werkzeugmaschine. Heute trägt der gelernte Elektroniker bei seiner Arbeit weiße Hose und weißes Sweatshirt. Nach dem Job braucht er sich nicht mehr den Staub und Schmutz von den Händen schrubben. Der 26jährige Mario benutzt nun Massageöl – um seine Patienten besser massieren zu können. Zusammen mit 119 weiteren Schülern besucht er die Schule für Medizinalfachberufe der Charité und wird zum Physiotherapeuten ausgebildet. Viele von Marios Mitschülern haben vorher etwas anderes gelernt, bevor sie sich zu einer erneuten Ausbildung entschlossen.

Charité-Ausbildung bald auch im Westen Pflicht

In sechs Semestern lernen die Schüler und Schülerinnen verschiedene Massagetechniken und physikalische Therapien kennen. Sie erfahren, wie man Patienten mit Herz- und Kreislaufbeschwerden durch ein gezieltes Geh- und Lauftraining wieder auf die Beine bringt. Oder wie man Menschen mit Bandscheibenschäden durch eine entsprechende Gymnastik die Schmerzen wegkuriert. Um diese Kenntnisse zu erlangen, besuchen die angehenden Physiotherapeuten sechs Semester lang die Schule für Medizinalfachberufe. Im ersten Halbjahr ausschließlich auf Theorie ausgerichtet, teilt sich die Ausbildung vom zweiten bis zum fünften Semester in einen theoretischen und in einen praktischen Teil. Die letzten sechs Monate arbeiten die Schüler nur noch praktisch in der Klinik mit. Besonders günstig ist die Charité, weil kein Schulgeld erhoben wird. Private Einrichtungen hingegen verlangen 700 bis 1.200 Mark pro Monat.

Die Ausbildung an der Schule für Medizinalfachberufe gelte als vorbildlich, meint die Fachrichtungsleiterin Sybille Hüttich: Schon jetzt entspricht sie den EG- Anforderungen. Das trifft für die Ausbildung von Krankengymnasten und Medizinischen Bademeistern in den alten Bundesländern nicht zu. Dort wird nur eine zweijährige Ausbildung mit anschließendem Praxisjahr absolviert. Für Europa taugt das nicht, weil den Auszubildenden im Praxisjahr die Betreuung der Lehrer fehlt. Deshalb soll die Charité-Ausbildung per Gesetz auch bald für die alten Bundesländer gelten.

Die Schule für Medizinalfachberufe ist also ihrer Zeit – zumindest in der Bundesrepublik – voraus. Dennoch werden hier massiv Stellen abgebaut. „1990 hatten wir noch 21 Lehrkräfte, davon verließen uns viele, weil sie Angst vor politischen Überprüfungen hatten. Die neuen Planstellen, die wir beantragt haben, sind einfach nicht mehr genehmigt worden“, erzählt Hüttich. Sie findet, daß jetzt Schluß mit dem Sparen sein müsse, wenn man die Qualität der Lehre erhalten wolle. Im September erfuhr die Fachrichtungsleiterin dann, daß von den acht verbliebenen Medizinpädagogen vier auf dem „Überhang“ stehen. Was nichts anderes bedeutet als eine weitere von Senat und Klinikumsleitung verfügte Halbierung der Lehrerstellen. Ob diese Stellenreduzierung auch durchgesetzt wird, ist noch ungewiß. Zum Jahresende jedenfalls sind zwei Pädagoginnen von der Kündigung bedroht.

Für Sybille Hüttich macht diese Einsparungspolitik keinen Sinn: „Der Ausbildungsgang erfreut sich großer Beliebtheit. Wir haben 240 Bewerber auf der Warteliste und können Bewerbungen erst wieder für 1995 annehmen.“ Wegen der geplanten Kürzungen können ab 1994 nur noch 24 anstatt, wie bisher, 48 Schüler im Jahr aufgenommen werden. – Wer bis jetzt die Charité verließ, bekam auch einen Arbeitsplatz. Thomas Nagel

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