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Auf Motorrädern durchs wilde Dagestan

Eine Ministerin, die eigenhändig Butterbrote schmiert und Kaviar reicht, von der Polizei rote Rosen wegen zu hoher Geschwindigkeit – kaukasische Abenteuer in der Autonomen Republik Dagestan  ■ Von Petra Gall

Das Land

Dagestan erstreckt sich zwischen Kaspischem Meer und dem Kaukasus. Faszinierende Natur von der Küste bis zu den Gletschern auf 4.466 Meter Höhe. Es grenzt an Rußland, Tschetscheno-Inguschetien, Georgien und Aserbaidschan. Die Nationalitätenkonflikte im Kaukasus haben offensichtlich vor diesem kleinen Land haltgemacht. Drei Millionen Menschen aus 30 Nationalitäten verständigen sich in 15 Sprachen und 100 Dialekten, aber auch in Russisch.

Die Stadt

Haupt- und Hafenstadt ist Machatschkala mit 350.000 Einwohnern. Vor 30 Jahren hat es hier sicherlich auch nicht anders ausgesehen. Viel sozialistischer Plattenbau, vor sich hinbröckelnd. Die alten Häuser verfallen. Auf dem Markt herrscht buntes Treiben. Obst, Gemüse, Fleisch, Schuhe, T-Shirts, Hosen. Gepfefferte Preise. Kleine kommerzielle Geschäfte bieten Westwaren: Zigaretten, Bekleidung, Uhren, Süßigkeiten, Elektronik. Viel Staunen, viel Gucken, doch wenige, die kaufen (können).

Unser Erscheinen hat überall den Effekt einer Raumschifflandung. Sabine in Radlerhosen ist unbestritten das Ereignis der Saison. Die Versammlung islamischer Fundamentalisten auf dem riesigen Leninplatz scheint dagegen niemand zu beachten.

Die Motorräder

Die fabrikneuen Bikes sind komplett, das heißt mit Seitenwagen. So wie alle hier fahren. Die „Ural“ gilt als Transport- und Beförderungsmittel. Könner verstauen locker die Familie plus Gepäck. Nach langer Diskussion werden die Beiwagen abmontiert. Es dauert eine Weile, sich an die 60er-Jahre-Ungetüme zu gewöhnen. Wir fahren Konvoi: fünf Bikes, ein Minibus mit Streckenführer Schamil und unserem Gepäck, ein Armee- LKW mit einer Ural als Ersatzteillager und Mechaniker Ibrahim.

Die Weine

Die erste Tour führt nach Süden. Eine der renommiertesten Weinsowchosen der Union hat uns eingeladen. In Mamedkala warten bereits eine reich gedeckte Tafel und der Weinchef mit einer beachtlichen Batterie von Flaschen. Ein Roter gilt gar als Heilmittel zur Blutbildung und wurde früher in Apotheken verkauft!

Die Ministerin

Am nächsten Morgen wecken uns Hahnenschreie. Ziegen und Gänse flankieren den Aufbruch. Unsere Tanks sind leer. Wir haben zwar Coupons, doch auch die helfen nicht, wenn die Zapfsäulen leer sind. In dem ziemlich heruntergekommenen Betriebshof der Sowchose erhalten wir nach zähen Verhandlungen 100 Liter Benzin.

Unser Ziel: das Samurdelta im äußersten Süden der Republik. Die Inspektorin für Fischereiwesen und Volksdeputierte hat uns auf ihre Datscha eingeladen. In diesem Naturschutzgebiet überwintern Zugvögel, Störe haben ihre Laichplätze, und der Wald ist noch wild.

Um dorthin zu gelangen, müssen wir ein paar Kilometer durch Aserbaidschan. Keine Visa? Njet Problem! Man kennt sich hier. Die Ministerin kommt höchstpersönlich im schwarzen Wolga zur Grenzstelle vorgefahren. Sie entschuldigt, daß der Weg zu der Datscha sehr provisorisch ist. Staub, daß man oft keine fünf Meter weit sieht, aufgeschüttete Kieselsteine und Schotter geben ihr recht.

Endlich die Datscha, mitten in einem grünen Dschungel, direkt am Meer. Der Wildbach ist geschickt abgezweigt, so daß eine natürliche Dusche entstand. Während der für uns geschlachtete Hammel in schaschlikgroße Bissen zerteilt und gebraten wird, spülen wir den zentimeterdicken Staub von der Haut. Das Essen wird im Holzpavillon kredenzt, mitten im tosenden Bach. Die Ministerin schmiert eigenhändig die Butterbrote für den Kaviar. Der wird gleich bergeweise aufgetischt, frisch aus ihrer Störzucht.

Womit haben wir das verdient? Wir sind keine Staatsgäste. Nein, und eben deshalb so willkommen. Das Gästehaus soll nicht mehr von der Nomenklatura genutzt werden, sondern Touristen offenstehen.

Die Polizei

Die Rückfahrt nach Machatschkala verläuft zügig. Die Urals bringen jetzt gut 100 km/h. Prompt geraten wir in eine Radarfalle. Die Verkehrspolizisten verstehen die Welt nicht mehr: Ausländer auf russischen Motorrädern ohne Seitenwagen (!). Als sich herausstellt, daß Sabine als erste hier vorbeisauste, grinsen die Polizisten und bitten sie und mich zu ihrem Wagen. Strafe zahlen? Weit gefehlt! Sie überreichen uns rote Rosen und wünschen gute Heimfahrt.

Die Quelle

Einmal auf eigene Faust. Einfach den schönsten Wegen nach. Auf der Suche nach einem Dorf, das trotz Sozialismus seine Ursprünglichkeit bewahrt hat, treffen wir den örtlichen Milizchef. Der lädt uns zur Besichtigung einer Quelle ein, exklusiv. Der Wächter muß für uns die verplombte Tür öffnen.

Der Wasserdruck ist so groß, daß früher, als die Quelle im Freien lag, öfter mal ein allzu neugieriger Wasserbüffel meterhoch in die Luft geschleudert wurde. Die einzigartige Qualität ließ bereits die Arabischen Emirate vorstellig werden und um Exporterlaubnis bitten. Die hat man bislang verweigert, es sollen nur die dagestanischen Haushalte versorgt werden. Zuviel geht allerdings auf dem Weg dorthin verloren und büßt an Qualität ein, die Leitungen sind rostig und marode.

Die Berge

Sechs Uhr früh. Unser Routing- Spezialist Sujawudin, Direktor der Bergwacht, Alpinist und Meister des Sports, übernimmt die Führung. Bald tauchen wir in die Bergwelt ein. Fantastische Ausblicke, immer neue Felsformationen, Farbspiele. Langsam erklimmen wir die Zweitausender. Je höher wir kommen, um so schlechter das Wetter. Und dann ein Tunnel, fünf Kilometer lang, seit elf Jahren im Bau (!). Vier Arbeiter sind zu sehen und desolate Baufahrzeuge.

Drinnen stockt einem im ersten Moment der Atem: Nur wenige Glühbirnen bringen Licht in diese Mad-Max-Kulisse. Es tropft von Decke und Wänden. Blinzelnd kommen wir ans Tageslicht, wo uns ein eisiger Wind empfängt. Busfahrer Mohamed wird zunehmend aufgeregter. Wir nähern uns seiner Heimat, Gergebil, und er freut sich, seine Familie zu sehen. Gergebil ist über 500 Jahre alt und verspricht 310 Sonnentage im Jahr. Wir haben den falschen Tag für unseren Besuch gewählt: Es regnet in Strömen.

Die Düne

Die Bikes müssen zurück ins Depot. Auf dem Weg dorthin ein beeindruckendes Bild: mitten in der Landschaft eine riesige Sanddüne. Sie ist die größte ihrer Art in Europa, Nordafrika und Asien. Und kein Wissenschaftler hat bislang eine Erklärung für ihre Entstehung.

Wir lassen es uns nicht nehmen, den Kamm entlang zur 210 Meter hohen Spitze zu laufen. Der Regen hat's möglich gemacht. Ich wähne mich in Afrika, doch der Blick zurück zeigt die Realität: fern im Hintergrund der Kaukasus, am Fuß der Düne Bäume und eine verfallene Bahnstation aus der Zarenzeit. Petra Gall

Reiseinformationen bei: Prima Klima Reisen, Hauptstr. 5, 10827 Berlin, Tel.: 030-787 927-0, Fax -20.

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