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„Tourismus ohne Hektik“

Heidelberg, der Schwarm aller Touristenschwärme, mausert sich zur Avantgarde im ökologischen Städtetourismus. Ein neues Leitbild soll die Massen inspirieren  ■ Von Christel Burghoff

Der interessanteste Eindruck, den die touristischen Zukunftspläne der Stadt Heidelberg wecken, ist der eines kleinen Venedig: Man baut – wie um die Lagunenstadt herum – auch außerhalb Heidelbergs riesige Parkplätze; niemand kommt mehr in seinem Bus oder mit seinem Pkw in die Altstadt hinein. Statt dessen steigt der Tourist auf das Bootpendelsystem oder den schienengebundenen ÖPNV oder auf das Leihfahrrad um. Die neuen Parkplätze sind als Empfangsräume mit hoher Aufenthaltsqualität angelegt. Hier kann man bequem und schattig sitzen und dabei am Informationsterminal die wesentlichen touristischen und kulturellen Informationen abrufen. Zum weltweit bekannten Heidelberger Schloß geht eine Bergbahn mit bedarfsgerechter Taktfrequenz. Quintessenz: Das romantische Refugium wird vom Verkehr abgeschirmt, aber innen wird es noch attraktiver.

Was wie der futuristische Einstieg in eine große touristische Zukunft klingt, nennt sich in Heidelberg jedoch „Umorientierung hin zu einem sozial- und umweltverträglichen Tourismus“. Heidelberg will die touristische Infrastruktur umbauen – ökologisch versteht sich. Nachzulesen ist dieses Ziel in einem neuen Tourismusleitbild. Es wurde vom Stadtentwicklungsamt herausgegeben als Ergebnis einer Reihe von Podien, auf denen Bürger und Fachleute über den Heidelberg-Tourismus diskutierten.

Nun erzeugt ein Verkehrsleitsystem nicht automatisch einen sozial- und umweltverträglichen Tourismus. Ganz im Gegenteil: Es schafft Platz für mehr Touristen. Dabei hätte Heidelberg gute Gründe, die Zugbrücken für Touristen hochzuziehen. Hier sind täglich (im Jahresdurchschnitt) fast 12.000 Besucher unterwegs. Das sind ungefähr soviel Touristen, wie die Altstadt an Einwohnern zählt. In der Altstadt konzentrieren sie sich auch, denn da glänzt Heidelberg am schönsten, da reiht sich die eine phantastisch restaurierte Fassade an die nächste, und der Tourist kann von einer Kneipe in die nächste wandern.

In Heidelberg gab es keine Zerstörungen durch Kriegsbomben. Um so anziehender wirkt das nostalgische Flair auf die Internationale der Romantiktouristen. Und so kommen sie in der Regel in großen Gruppen, mit Kameras bewehrt. Am Texashut erkennt man den US-Amerikaner, am Tirolerhut den Bayer, und vorneweg marschiert der Japaner. Zur Hochsaison werden in der Stadt, technisch ausgedrückt, „Überhitzungserscheinungen“ registriert.

Nach dem neuen touristischen Leitbild stellt dieser Massentourismus zwar eine soziale Belastung für die Bewohner, aber keinen Grund dar, um restriktive Maßnahmen zu ergreifen. Heidelberg sei eine Hochburg des Massentourismus, doch man wolle niemanden „verschrecken“, so der Leiter des Stadtentwicklungsamtes, Herr Schmauß. Der Grundtenor des infrastrukturellen Umbaus ist gänzlich anders: Der Tourismus soll „umgewidmet“ werden.

Heidelberg zieht interessante Einsichten aus seiner Rolle im touristischen Standardrepertoire romantisches Deutschland. Da ist zum einen der Verkehrsentwicklungsplan. Damit soll den ökologischen Belastungen durch den Individual- und Reisebusverkehr eine intelligente Lösung verschrieben werden. Eine Lenkungsgruppe wurde jetzt zusammengestellt, die sich als erstes um die Parkplatzfrage kümmert. Um weiteren ökologischen Belastungen entgegenzuwirken, wird auf Lösungen in touristischen Teilbereichen gesetzt, beispielsweise der Verzicht auf Einwegpackungen. Zum anderen soll das touristische Angebot auf ganzer Linie vergrößert werden.

Dafür bedarf es nach Ansicht der Strategen vor allen Dingen mehr kulturelle Qualität. Zwecks „Steigerung der Erlebnisvielfalt“ will man sogar die vorhandenen Weiterbildungs- und Wissenschaftsressourcen nutzen. Im nächsten Jahr soll ein Standort für den Bau eines neuen Veranstaltungszentrums gesucht werden. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten wird auch im neuen touristischen Leitbild unter anderem auf ein höheres Angebot für Übernachtungsgäste gesetzt.

Was will man damit erreichen? Ganz einfach: nicht etwa weniger, sondern andere Touristen. Touristen nämlich, die dableiben. Statt fixem Sightseeing wünscht sich die Stadt Urlauber, die dem schönen Heidelberg viel mehr Zeit und Interesse widmen. „Was machen Sie denn, wenn Sie eine Stadt kennenlernen wollen?“ fragt Herr Schmauß. „Man nimmt sich Zeit.“ Der Amtsleiter wünscht sich nur eines, nämlich einen „Tourismus ohne Hektik“. Keine Gräben um das Schloß, keine hochgezogenen Zugbrücken – die Stadt will mehr, als schnell konsumiert werden.

Noch vor kurzem hätte man diese Strategie als Ankurbelung des Tourismus gefeiert – heute sieht man dies als Stabilisierung. Das Stadtentwicklungsamt erwartet generell kein weiteres Wachstum mehr. Der Golfkrieg bescherte dem Heidelberg-Tourismus sogar einen ersten Einbruch. „Wie Sie wissen, ist die Situation rezessiv“, erläutert Herr Schmauß. So scheint es denn eine vorausschauend fürsorgliche Strategie der Stadtväter zu sein, Heidelberg zu modernisieren. Daß diese Programmatik als sozial- und umweltverträglich daherkommt, macht sie interessant. Allein das ist schon etwas wert.

Und Heidelberg beansprucht damit die Vorreiterrolle im „ökologischen Städtetourismus“. Christel Burghoff

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