piwik no script img

"Weiße Ohren" zu heiß

■ Satelliten-TV als Staatsfeind Nummer eins in Asien / Schlüssel-Zensur in China

Langsam, sehr langsam begannen sich nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 erste Anzeichen einer Liberalisierung der chinesischen Medienlandschaft zu zeigen. Die Chinesen griffen zur grenzenlosen Satellitentechnologie, die „ungefilterte“ Nachrichten und bisher verbotene Unterhaltung empfangbar machte. Laut Statistik des staatlichen chinesischen Fernsehens gab es 1992 über 228 Millionen TV-Geräte und etwa 800 Millionen ZuschauerInnen in der VR China, einhergehend mit einer steigenden Zahl von Satellitenempfangsanlagen. Ihre Zahl wird offiziell auf etwa 50.000 geschätzt, doch das trifft wohl kaum zu: Allein in der südchinesischen Wirtschaftsmetropole Shanghai sind etwa 30.000 private Schüsseln installiert.

Eigenlich ist das Aufstellen privater Satellitenempfangsanlagen ohne staatliche Genehmigung verboten, doch hielt sich bisher kaum jemand an diese Verordnung. Ein Grund: In den chinesischen Tageszeitungen wurde verbotenerweise für die Schüsseln geworben, und in jedem Warenhaus konnte man für knapp 1.000 Mark seine eigene Satellitenanlage erstehen, im Volksmund „Weiße Ohren“ genannt.

Die Satellitenanlagen der meisten Haushalte sind auf den Asiasat-1-Telekommunikationssatelliten ausgerichtet, der momentan sieben Kanäle beheimatet, fünf des Hongkonger Star-TV-Netzwerkes des Rupert Murdoch (inklusive BBC-World-Service-Television und MTV) und zwei vom chinesischen Festland.

Von der Angst um den Verlust des staatlichen Informations- und Meinungsmonopols angetrieben, reagierte der Staat Anfang 1993 noch sehr vorsichtig. Er wies die Tageszeitungen Beijing Daily und Volkszeitung, auf die er direkten Einfluß nehmen konnte, an, keine Werbung für Satellitenanlagen zu publizieren. Das Politbüro jedoch war sich über eine geschlossen restriktive Satelliten-Politik nicht einig. Zwei Machtpole, das Rundfunk-, Film- und Fernsehministerium sowie das Ministerium für Maschinenbau, Elektronik und Raumfahrt konkurrierten miteinander. Letzteres befürwortete die unkontrollierte Expansion des Satellitenwesens.

Überraschend trat mit Unterschrift des Premierministers Li Peng dann am 7.10.1993 ein Gesetz zur Kontrolle von Satellitenanlagen in Kraft. Danach sind Herstellung, Verkauf, Installation und Besitz einer Satellitenempfangsanlage strikten Genehmigungspflicht unterworfen. Einzelpersonen sollen nur in Ausnahmefällen Genehmigungen erhalten. Ziel des Gesetzes ist laut Staatsführung, den „unlauteren Wettbewerb“ beim Verkauf von Satellitenanlagen zu beenden.

Doch die Gründe liegen tiefer. Die „alte Ordnung“ im chinesischen TV-Leben soll wiederhergestellt werden. Jede Einzelperson oder Familie, die „Schüsseln“ aufstellen möchte, muß bei der örtlichen Behörde und der Rundfunkanstalt der jeweiligen Provinz einen Antrag auf Einrichtung einer Satellitenanlage stellen. Da wird dann überprüft, ob diese Einheit unbedingt die Verschüsselung benötigt, um das staatliche chinesische Fernsehen oder die Provinz- Programme zu empfangen. Ist das nicht der Fall, wird keine Genehmigung erteilt. Eigentlicher Zweck dieses Gesetzes ist es, das Sehen von Programmen ausländischer Sender zu verhindern, denn „das Fernsehen ist ein modernes Massenmedium, welches einen weitreichenden Einfluß auf die Kultur, Werte und die ethischen und moralischne Prinzipien eines Landes, einer Nation oder auf die gesellschaftliche Stabilität haben kann“, so Wang Feng, Vizeminister für Rundfunk, Film und Fernsehen. Gesetzliche Ausnahmen werden nur für Finanzeinrichtungen, Wirtschafts- und Handelsvertretungen und einige Gästehäuser für Ausländer gemacht. Verschüsselt werden dürfen auch Appartementhäuser, die ausschließlich als Geschäftsbüros oder Wohnungen für Leute aus Hongkong, Macao und Taiwan dienen. Sogar TV- und Kabelsendern und Relaisstationen in allen Orten ist es untersagt, Programme, die von außerhalb übertragen werden, zu empfangen oder zu verbreiten. Trotzdem wird für den nationalen Hausgebrauch weiter auf die Satellitentechnik gesetzt, da man sich so eine Ganzheitsversorgung des Staatsterritoriums verspricht: 200 Millionen Haushalte kann das staatliche TV noch nicht erreichen.

Bei den asiatischen Nachbarstaaten stößt die chinesische Satelliten-Zensur auf Verständnis. Kurz nach dem Erlaß des chinesischen Satellitengesetzes verabschiedete auch die Militärjunta in Rangun ein beinahe gleichlautendes Gesetz. Auch die Asean-Staaten Malaysia, Singapur und Indonesien beschränken schon seit längerem mit drakonischen Maßnahmen den Zugang zu den westlichen Medien. Lediglich in Thailand und auf den Phillipinen dürfen sich die ZuschauerInnen der neuen Satellitenprogramme erfreuen. Einfallstor für westlich dominierte Medien-Imperien ist das noch-britische Hongkong. Unzensierte Nachrichten à la BBC sowie MTV und Sportprogramme tummeln sich am Satellitenhimmel.

Mit Schlagworten wie „Fernsehen ist ein nationales Kulturgut“ kritisieren die Regierenden in Südostasien, daß das Aufkommen der Satellitentechnik seit Mitte der 80er Jahre ihr Meinungs- und Informationsmonopol und somit auch ihre Macht in Gefahr gebracht hat.

In China schützt man nun wirtschaftliche Interessen in Form des neuen Lizenzsystems vor, welches angeblich „Ordnung“ in das chinesische Satellitenleben bringen soll. Denn das bloße Anmahnen des „Medien-Imperialismus“ oder der „Verwestlichung“ fruchtet nicht. Erbil Kurt

(Siehe auch Seite 8)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen