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Häßlich leben

Verschiedener geht's nicht: Andrea Breth und Frank Castorf inszenieren Ibsen in Berlin West und Ost  ■ Von Sabine Seifert

Das Duell fand nicht statt. Die FAZ hatte vorab geschwärmt und geschwelgt und ein „großes Ibsen- Duell der wichtigsten Berliner Direktoren im Theateradvent“ verkündet. Aber setzt ein solches nicht voraus, daß sich die Beteiligten – Andrea Breth von der (West-)Berliner Schaubühne und Frank Castorf von der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz (na wat denn? Ostberlins) – offenen Auges gegenübertreten? Statt dessen spielen beide Ibsen-Inszenierungen außer Konkurrenz, stellvertretend für zwei ästhetische Welten, die voneinander kaum Notiz nehmen, stellvertretend für eine ganze Stadt, in der die eine Hälfte nicht weiß, was die andere tut. Innovativ das eine, restaurativ das andere? Provokation als Krampf? Schön, aber leer? Spannend hier, sterbenslangweilig dort?

Die Volksbühne hat die Schaubühne zumindest um Längen geschlagen. Mehr als vier Stunden dauert die Castorfsche Verarbeitung des norwegischen Seemannsgarns in Ibsens „Die Frau vom Meer“ (aus dem Jahr 1888). Herbert Fritsch als Oberlehrer Arnholm tastet sich Wort für Wort, ein jedes in wenig hoheitsvolles Schweigen gehüllt, in seinem bald 30 Minuten währenden Heiratsantrag an Bolette heran. „Unmöglich“, antwortet sie lapidar. Sogar das Publikum versucht zu soufflieren; hilft nichts, im Gegenteil, es unterbricht den stammelnden Oberlehrer bloß und zögert seine und unsere Pein hinaus. Erstaunlich, daß die Zuschauer so kurz vor Schluß keineswegs entnervt, sondern eher erheitert reagieren. Sie sind gemeint, und sie gehören dazu, zu dieser „mächtig merkwürdigen Familie“.

Als da sind: Henry Hübchen als stets in Aktion befindlicher Doktor Wangel, Corinna Harfouch als seine blond-drollige Trollfrau Ellida mitsamt den beiden sexualkundlich hochinteressierten Töchtern Wangels, Hilde (Isabella Parkinson) und Bolette (Kathrin Angerer). Castorf ist kein Familienpsychologe, eher ihr Manager. Eine dieser schrecklich netten Familien aus dem Vorabendprogramm. Der Fremde spricht norwegisch; Oberlehrer Arnholm beißt in einen echten Fischkopf, spuckt ihn aus und versucht sich den Fischschwanz als Präser über den eigenen zu streifen; die schräge Fläche des wunderschönen Bühnenbildes von Hartmut Meyer lädt zu einer kleinen Polarexpedition ein, bei der sich die Akteure an der Steilwand auf- und abseilen. An Skandinavien-Folklore, die mal als Popversion und mal als Parodie daherkommt, fehlt es jedenfalls nicht. Die Geschichte Ellidas oder der „Frau vom Meer“, die sich voller Grauen und Faszination einst einem geheimnisvollen Fremden verband, erzählt man sich nebenbei, man läßt verschiedene Dinge und den Schluß sogar aus; was zählt, ist die bizarre Stimmung der Geschichte, die von gestrandeten, zappelnden und um Luft und Worte ringenden Gestalten handelt, einst Wassertiere und jetzt zu Landratten mutiert, die sich vor der Menschwerdung, dem Erwachsensein fürchten. „Wenn man einmal ein Landgeschöpf geworden ist“, sagt Ellida, „findet man nie mehr den Weg zurück zum Meer und auch nicht zum Leben der Meeresbewohner. Aber wir Menschen, wir müssen nicht sterben, wir können uns akklimatisieren. In Freiheit können wir es, und in eigener Verantwortung.“ In eigener Regie, in eigener Sache – Frank Castorf hat sein Publikum angesprochen. Es wäre zu billig zu meinen, er „bedient“ es bloß; da findet tatsächlich ein Dialog statt, dem man gewissermaßen fasziniert zuhören kann. Bloß – wovon sprechen die genau?

Wo Castorf seine Fischernetze auf große Flächen und Komplexe auswirft, arbeitet Andrea Breth in ihrer Inszenierung der „Hedda Gabler“ (das Stück von 1890 schrieb Ibsen gleich hinterher) an den Figuren, rekonstruiert ihr Innenleben und ihre Umgebung. Sie poliert die Oberfläche, auf die es in den Kreisen Hedda Gablers, jetzt verheiratete Tesmann, so sehr ankommt, poliert diese Oberfläche so gründlich, daß sie irgendwann spiegelblank ist und nur noch die abgrundtiefe Oberflächlichkeit, bodenlose Gemeinheit oder grenzenlose Borniertheit der Charaktere zurückwirft. Die Guten sind harmlos, und die Bösen sind glatt.

Bühnenbildner Gisbert Jaekel hat aus der Bühne einen opulenten Salon gemacht, in gedämpften Rosé-, Rot- und Brauntönen gehalten, und wie der Fisch ein leibhaftiger Fisch war, in den Castorfs Oberlehrer so herzhaft biß, so echt mögen die Teppiche und stilvollen Möbel von Hedda Gablers Salon in der Schaubühne sein. Statt mit Säbeln zu rasseln, hantiert die Generalstochter gerne mit Pistolen, ihre Liebschaften tarnt sie als Kameradschaften und verfolgt sie ausschließlich im geheimen, da sie nichts so sehr wie den Skandal fürchtet. Hedda Gabler ist keine Emanze, sondern ein verwöhntes Gör, das an „Seelenarmut“ leidet, wie Lou Andreas-Salomé in einem von der Schaubühnen-Dramaturgie ausgegrabenen Text über die Frauenfiguren Ibsens schrieb: „Die Tiefe, aus der Hedda aufsteigt, ist nicht von wild überquellendem Leben ... erfüllt, sondern eine leere Tiefe, wo keinerlei große Kräfte schlummern, ein hohler Abgrund. Daher stellt sie sich uns auch keineswegs als ein Wesen dar, das noch mit sich ringt und vergebens sucht, sein innerstes Selbst nach außen zu vollem Ausdruck zu bringen; im Gegenteil, sie beherrscht sich vollkommen und ist durch und durch vollendete Oberfläche, täuschende Außenseite und stets bereite Maske.“

Corinna Kirchhoff als Hedda erfüllt diese Beschreibung perfekt. Perfekt ihr Auftritt als kaltes Biest, als gelangweilte Gattin, als halbherzig bemühte Schwiegertochter von Tantchen Julle, als charmante Gastgeberin und bemühte Freundin. Nur ihr einstiger Liebhaber Lövborg (Wolfgang Michael), ein genialisch wirkender, schlaksiger junger Mann, dem Kleidung offensichtlich nicht viel gilt und der seine Lebensgier nicht krampfhaft zu verbergen sucht, vermag sie leicht aus der Fassung zu bringen – und haucht dem gediegenen Salonspiel das erste Mal etwas Verruchtes, Aufregendes ein. Aber Hedda kriegt natürlich auch das und ihn in den Griff.

Die Corinna Kirchhoff abverlangte Perfektion gerät zur Falle; selbst das Fäusteballen oder Zittern, das sie gelegentlich überkommt, weiß ihr Entgleisen am Ende – den Entschluß zum Selbstmord, den Schuß – nicht zu erklären. In Schönheit sterben? Nachgrübeln läßt sich darüber hinterher noch lange.

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