■ Ökolumne: Blaue Kartoffeln Von Niklaus Hablützel
Es war einmal eine Zeit, in der die Leute blaue Kartoffeln liebten. Nicht überall war das so, und oft gab es Streit deswegen. Manche fanden die blauen aus dem Dorf drüben einfach fad und schworen auf die gelben, die auf dem eigenen Feld wuchsen: Es ist schon sehr seltsam, worüber sich vernünftige Leute in die Haare geraten können. Ein paar tausend Sorten Weizen gab es auch, und natürlich hatte jeder den besten ...
Später fand man andere Anlässe, einen Steit anzufangen. Denn genaugenommen war auch unter den paar hundert Arten des Weißkohls keine so schlecht, daß sie nun gar niemand mehr essen wollte. Es schmeckte nach Kohl, mal so, mal so. Oft genug gab es zuwenig. Märchenhaft war diese Zeit deshalb nicht, damals jedenfalls schien es den Leuten durchaus nicht so.
Aus diesem Grund vielleicht haben nur wenige Spezialisten überhaupt gemerkt, daß sie zu Ende ging. Es gibt verschiedene Ansichten darüber unter den Fachleuten, ein Datum aber darf als entscheidend gelten, wenigstens für Europa. Es ist der 30. Juni 1980. „An diesem Tag ließen Brüssels Bürokraten per Dekret über 1.500 Sorten von 23 Gemüsen verschwinden.“ Dieser Satz stammt aus einem Buch, das zwar sehr schön ist und unbedingt gelesen gehört, aber doch keine Märchen erzählt. Auch wenn vieles danach klingt. Es handelt von einem Fremdwort, das seit einiger Zeit auf internationalen Konferenzen eine Rolle spielt, nämlich der „Biodiversität“. Darunter kann man vieles verstehen, wer im Laden blaue Kartoffeln verlangt, kommt der Sache schon recht nahe.
Es gibt wirklich blaue Kartoffeln, internationale Genbanken hüten saatfähige Knollen, aber auch Idealisten ohne Staatsauftrag kümmern sich darum. Diese Methode ist enorm teuer und schwierig, eine echte „Blaue“ müßte wohl bald in Gold aufgewogen werden. Im Laden kann man sie nicht kaufen. Das haben die Landwirtschaftsfunktionäre der Europäischen Gemeinschaft verboten an jenem 30. Juni, als sie den europäischen Gemüsemarkt geordnet haben.
Warum haben sie das getan? Das Buch „Lebendige Vielfalt“, das im Verlag der „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“ erschienen ist und verfaßt wurde von Renée Vellé, einer Mitarbeiterin der (gemeinnützigen) Organistation „Genetic Resources Action International“ gibt viele Hinweise auf eine Antwort. Die Konzentration der Nutzpflanzen auf wenige Sorten scheint der Konzentration des landwirtschaftlichen Kapitals auf wenige Konzerne zu entsprechen. Zum Beispiel haben alle französischen Chemiefirmen zusammen im Jahr 1991 für 858 Millionen Dollar Saatgut verkauft. Aber der Marktführer Pioneer aus den USA kommt alleine auf 1,124 Milliarden Dollar: Darum also hat die französische Regierung beinahe das neue Welthandelsabkommen platzen lassen.
Nur erklärt dieses Interesse nicht das Verschwinden fast aller einheimischen Apfelsorten. Sie waren beliebt und wuchsen ohne teuren Dünger ganz ordentlich. Keine war die Beste, das ist wahr, sie waren nur verschieden, deswegen aber überlebensfä-Foto: Katharina Eglau
hig. Eine Art kollektiver Wahnsinn muß ihnen ein Ende bereitet haben, wirtschaftlicher Verstand kann es jedenfalls nicht gewesen sein. Was übrigblieb, ist weder besser noch billiger. Ginge es um Waschmittel, würde niemand behaupten, die Vormacht einiger Weltfirmen werde auf Dauer zu günstigen Preisen führen. Ausgerechnet bei Äpfeln und Birnen soll es so sein, obwohl in jedem Lehrbuch das Gegenteil nachzulesen wäre.
Vielleicht lesen europäische Agrarminister keine Bücher. Auch das wäre ein Skandal. Wahrscheinlich aber lesen sie Bücher, gehen dann aber mit der Chemie-Lobby essen. Das wäre normal. Man sollte sie deshalb nicht wegen Bestechlichkeit, sondern wegen grober Fahrlässigkeit entlassen. Ihre Politik hat kaum noch abschätzbare Summen an Steuergeldern verschlungen. Etliche Volkswirtschaften in Entwicklungsländern sind unter Dumpingpreisen zusammengebrochen, die sozialen Folgen müssen mit noch mehr Geld und höchst zweifelhaftem Erfolg repariert werden.
Trotzdem scheint die Europäische Union auch in Zukunft fest entschlossen, dieselben europäischen Konzerne gegen dieselben nichteuropäischen Konzerne zu verteidigen. Wie weise war doch der Streit um die Kartoffeln aus dem anderen Dorf! Die Dümmsten hätten die Größten, hieß es damals. Heute sind die Größten die Dümmsten.
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