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Mordfall Kaindl vor der Aufklärung?

Über ein Jahr nach der Ermordung eines Rechtsextremisten wurden in Berlin fünf mutmaßliche Täter aus linken Kreisen verhaftet / Die Ermittlungen dauern noch an  ■ Aus Berlin Severin Weiland

Der Name Kaindl schien schon in Vergessenheit geraten, als ihn Mitte November die Ermittlungsbehörden wieder in die Schlagzeilen der Berliner Presse hievten: Innerhalb von zwei Wochen wurden vier Türken und eine Kurdin im Zusammenhang mit dem Tod des Schatzmeisters der rechtsextremen „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ (DL), Gerhard Kaindl, verhaftet. Die Anschuldigungen gegen die mutmaßlichen Täter wiegen schwer: Gemeinsam wird ihnen versuchter und vollendeter Mord sowie vollendete Körperverletzung zur Last gelegt.

Die Tat, der sie bezichtigt werden, liegt über ein Jahr zurück. In der Nacht vom 4. April 1992 hatten Unbekannte ein Chinarestaurant im Bezirk Neukölln – nur wenige hundert Meter von der Grenze zu Kreuzberg – überfallen, Kaindl erstochen und ein weiteres DL- Mitglied durch Messerstiche schwer verletzt.

Über das eigentliche Ziel der Aktion waren schon kurz danach Spekulationen aufgetaucht. Denn unter den sieben Teilnehmern der nächtlichen Runde war Kaindl eher ein unbeschriebenes Blatt — weitaus bekannter war der ebenfalls anwesende ehemalige Rep- Landesvorsitzende Carsten Pagel. Der 47jährige — so munkeln selbst Teilnehmer der damaligen Runde — wurde wohl eher zufällig ein Opfer des Überfalls, weil er den heranstürmenden Angreifern in dem Lokal am nächsten saß.

In linken und autonomen Gruppen geht seit den jüngsten Verhaftungen die Angst um. Wer, so fragt sich die Berliner Szene, wird als nächster abgeholt? Auf Plakaten wird dazu aufgerufen, gegenüber den Behörden keine Aussagen zu machen.

Einer der fünf Inhaftierten stellte sich den Behörden freiwillig, um die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu entkräften, wie sein Anwalt gegenüber der taz erklärte. Im Visier sind unter anderen auch Anhänger der linksextremen „Antifasist Genclik“ (Antifaschistische Jugend) – zumindest geht dies aus einem Haftbefehl hevor. Die 1989 gegründete Berliner Gruppe, in der sich überwiegend türkische, kurdische und deutsche Jugendliche zusammengeschlossen haben, genießt wegen ihrer Unberechenbarkeit selbst in autonomen Kreisen einen zweifelhaften Ruf.

Bei ihren Ermittlungen stützen sich die Behörden offenbar auf die Aussage eines der Verhafteten, der seine unmittelbare Beteiligung an dem Angriff gestanden hat. Mehr als diesen Kronzeugen scheinen die Beamten jedoch nicht in der Hand zu haben.

Dafür spricht, daß Polizisten durch Kreuzberger Kneipen ziehen und Fotomappen vorlegen – offenbar sind noch nicht einmal alle Verdächtigen namentlich bekannt. Bereits erfolgte Hausdurchsuchungen in Kreuzberg verstärken den Verdacht, „daß die Erkenntnislage der Ermittlungsbehörden unklar ist“, wie jüngst ein Unterstützerkreis der Verhafteten erklärte.

Ermittelt wird – so heißt es in einem der Haftbefehle – gegen 14 Verdächtige; neun Personen sollen dabei am 4. April 1992 in das Restaurant eingedrungen sein. Einige der Gesuchten — darunter auch deutsche Staatsangehörige — sind mittlerweile untergetaucht. Zur Verunsicherung trägt nicht zuletzt die restriktive Informationspolitik der Behörden bei. Seit zwei Wochen hüllt sich die Justizpressestelle in Schweigen. Den Anwälten von vier Betroffenen wurde bislang eine Akteneinsicht von der Staatsanwaltschaft mit dem Verweis auf die laufenden Ermittlungen verweigert.

Fragen wirft im Fall Kaindl auch die Rolle des polizeilichen Staatsschutzes auf. Sind möglicherwerweise Informationen aus der für politisch motivierte Delikte zuständigen Behörde an die rechtsextreme „Deutsche Liga“ abgeflossen?

Dafür sprechen einige Hinweise: So wartete etwa daß das DL-Organ Deutsche Rundschau im Oktober 1992 mit erstaunlich detaillierten Kenntnissen aus dem Innenleben der Polizei auf: acht Täter, allesamt Türken und Angehörige der Gruppe Antifasist Genclik, seien von den Behörden ermittelt worden, hieß es dem Bericht zufolge unter der Überschrift „Kaindl-Mord: ,Wir kriegen euch alle‘“.

Gegenüber der taz erklärte jüngst ein Opfer des damaligen Überfalls und ehemaliges DL- Mitglied, ihm sei namentlich ein „ausländischer“ Tatverdächtiger bekannt. Bei einer Befragung durch zwei Staatsschutzbeamte im Sommer 1992 habe er eine Karteikarte mit den personenbezogenen Daten samt PKW-Nummer des Verdächtigen gesehen.

Unklarheiten auch in einem anderen Punkt: Im Oktober 1992 behauptete die DL in einer Pressemitteilung, die zuständige Staatsanwältin habe einen Haftbefehl gegen zwei Tatbeteiligte abgelehnt.

Dabei habe es sich um einen „Tipgeber“ und eine „Anstifterin“, ein Türke und dessen Nichte, gehandelt. Beide sollen sich laut DL nach ihrer Vernehmung durch die Polizei in ihr Heimatland abgesetzt haben. Auf Nachfrage der taz wurde damals aus dem Büro des Generalstaatsanwalts bestätigt, daß es „Differenzen zwischen der Polizei und der zuständigen Staatsanwältin gegeben habe“.

Ganz anders lautete hingegen ein Antwortschreiben der Staatsanwaltschaft vom Februar dieses Jahres. In der Begründung zur Einstellung eines von der DL angestrengten Verfahrens gegen Justizbedienstete wegen Strafvereitelung im Amt hieß es lapidar, die Täter seien keinesfalls bekannt gewesen. Ebenso wenig treffe es zu, daß die Kriminalpolizei „lediglich aufgrund irgendwelcher Verfahrenshindernisse“ nicht in der Lage gewesen sei, Festnahmen durchzuführen. Die Beweismittel hätten nicht ausgereicht, um gegen eine bestimmte Person „einen dringenden Tatverdacht zu begründen“, so die Antwort der Staatsanwaltschaft damals.

Zumindest letzteres scheint sich in den letzten Wochen geändert zu haben.

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