: „Es gibt nichts zu verteidigen“
Brasilianische Waffenschmieden kamen vom Boom in die Krise / Nur der Schußwaffensektor befindet sich im Aufschwung ■ Aus Rio de Janeiro Astrid Prange
Nicht der Fall der Mauer, sondern Saddam Hussein geriet ihr zum Verhängnis. Mitte der achtziger Jahre wies Brasilien die siebtgrößte Rüstungsindustrie der Welt auf. Rund 20.000 Menschen arbeiteten für den Export von Rüstungsgütern in 42 Länder. Jährlich brachte dieser Einnahmen in Höhe von knapp drei Milliarden Dollar ein. Heute finden nur noch 6.000 Brasilianer Beschäftigung in der Branche. Deren Umsatz hat sich mittlerweile bei bescheidenen 200 Millionen Dollar pro Jahr eingependelt.
Die Hälfte der gefürchteten brasilianischen Panzer, Container- Raketen vom Typ „Astro II“ sowie die Trainingsflugzeuge „Tucano“ gingen in den Nahen Osten, insbesondere in den Irak. Die Konzentration auf die erdölreiche Krisenregion entsprang dem Konzept, sich eine Marktnische in den von den Großmächten vernachlässigten Gebieten zu erobern. Brasilien bot anderen Entwicklungs- und Schwellenländern Waffen guter Qualität und Technik zu erschwinglichen Preisen an.
Doch nach dem Ende des Krieges zwischen Irak und Iran 1988 sank die Nachfrage nach brasilianischem Kriegsgerät gewaltig. Seit dem Einmarsch Saddam Husseins in Kuwait am 2. August 1990 kamen die Handelsbeziehungen zwischen dem Irak und Brasilien dann vollständig zum Erliegen. Ein einträgliches Geschäft in Höhe von einer Milliarde Dollar mit Libyen im Februar 1988, das den Verlust durch den iranisch-irakischen Waffenstillstand hätte auffangen können, kam aufgrund politischen Drucks von den USA nicht zustande. Mit dem Hinweis auf Gaddafis Verbindungen zum internationalen Terrorismus hinderten die USA die Brasilianer an dem attraktiven Handel.
Konsequenz: Im Oktober dieses Jahres mußte der größte Fabrikant von Radpanzern der westlichen Welt, die Firma Engesa, endgültig die Waffen strecken. Der Konkurs des Unternehmens in der brasilianischen Rüstungsmetropole São José dos Campos im Bundesstaat São Paulo kostete 1.200 Beschäftigte ihren Job. Unvermittelt fanden sich die Arbeiter vor versiegelten Türen wieder; das mit explosivem Material versehene Gelände wurde vom brasilianischen Militär besetzt.
„Die brasilianische Rüstungsindustrie hat sich niemals um die nationale Verteidigung gekümmert. Sie war einseitig auf den Export ausgerichtet“, kommentiert der Abgeordnete José Genoino, Sicherheitsexperte der brasilianischen Arbeiterpartei PT, die aktuelle Krise. Luis Antonio Tararan, Direktor der Metallergewerkschaft in São José dos Campos, stimmt mit ihm überein: Nach dem Ende der Militärdiktatur (1964 bis 1985) seien die brasilianischen Streitkräfte praktisch ohne Aufgabe. „Es gibt nichts zu verteidigen, wir haben weder innere noch äußere Feinde“, erklärt Tararan.
Rüstungsexperte Roberto Godoy, Chefredakteur der brasilianischen Zeitung Correio Popular, schiebt die Schuld für den Untergang der brasilianischen Waffenproduktion statt dessen dem ehemaligen Ostblock in die Schuhe. Die Öffnung des Eisernen Vorhangs hätte die weltweite Krise in der Rüstungsindustrie ausgelöst. „Die ehemaligen sozialistischen Staaten überfluten zur Zeit den Markt mit ihren ausgedienten Waffen zu Spottpreisen“, erklärt der Journalist. Dieser Überhang werde voraussichtlich drei bis vier Jahre anhalten.
Einig sind sich jedoch alle Beobachter darüber, daß Brasiliens Waffenindustrie nur eine Chance hat, wenn sie fähig ist, sich auf zivile Produktion umzustellen. Gewerkschafter Tararan arbeitete für die in Konkurs gegangene Engesa ein Konzept aus, das statt Panzern die Produktion von Jeeps, Traktoren, Transportern sowie Ersatzteilen vorsieht. Die Firma Avibras praktiziert die Diversifikation bereits mit Erfolg: Neben Kurzstreckenraketen, die jetzt nach Saudi- Arabien exportiert werden, stellt die Firma Glasfasern und Parabolantennen her.
Das Staatsunternehmen Embraer verdankt seinen Erfolg ebenfalls einer zweigleisigen Strategie. Die Firma, die demnächst in private Hände übergehen soll, stellt nicht nur Kampflugzeuge für militärische Übungen her, sondern produziert weltweit begehrte Regionalflugzeuge füf die zivile Luftfahrt. Auch die Lufthansa kaufte in São José dos Campos bereits zwölf Maschinen vom Typ „Brasilia“ mit dreißig Sitzplätzen. Die US-Army bestellte in diesem Jahr achtzig Trainingsflugzeuge vom Typ „Tucano“.
Im Schatten der krisengeschüttelten brasilianischen Rüstungsbranche jedoch verschafft sich der Schußwaffensektor zunehmend Respekt. Pistolen und Revolver der brasilianischen Marken „Taurus“ und „Rossi“ sind weltweit begehrt. Die beiden brasilianischen Waffenproduzenten liefern sich auf dem US-amerikanischen Markt ein Duell mit den etablierten amerikanischen Marken „Smith & Wesson“ und „Colt“. Laut Statistik werden in den Vereinigten Staaten pro Jahr eine Million Schußwaffen verkauft. „Taurus“ und „Rossi“ liegen in der Gunst der amerikanischen Käufer bereits an dritter und vierter Stelle.
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