: Brüggemanns längstes Spiel
■ Prozeß gegen ehemaligen TuS-Walle-Sponsor begann mit Befangenheitsanträgen
Am Anfang ging das Licht aus. Kaum hatte der Vorsitzende der Großen Strafkammer VI, Harald Schmacke, die Personalien des ehemaligen TuS-Walle-Sponsors und Warenterminhändlers Volker Brüggemann (51), seines Adlatus Hans Wilhelm Birr (46) und zweier weiterer Angeklagter aus Brüggemanns Firma Contracta Rohstoffhandel festgestellt, knallte im Landgericht die Hauptsicherung durch und die Prozeßbeteiligten saßen im Dunkeln.
Ein durchaus ernstzunehmendes Zeichen, obwohl Schmacke erklärte, daß er nicht abergläubisch sei. Der erste Verhandlungstag gestern zeigte aber: Es wird für die Kammer sehr schwer werden, Licht ins Dunkel der Warentermingeschäfte von Brüggemann und Co zu werfen. Ursprünglich hatte der Vorsitzende Richter gestern den Prozeß noch bis zur Verlesung der Anklageschrift vorantreiben wollen. Dafür sind allein drei Stunden angesetzt. Als dann aber gegen 15.30 Uhr der zehnte Antrag aus der Verteidigung zu Protokoll gegeben war, lief der Brüggemann-Prozeß bereits mit Verzug. Und das, obwohl 43 Verhandlungstage angesetzt sind.
Verantworten müssen sich die vier wegen Betrugs und anderer Delikte im Warenterminhandel bei Brüggemanns Firma Contracta. Drei dicke Ermittlungsstränge hat die Staatsanwaltschaft zu einer Anklage zusammenzustricken versucht: Indem die Männer in unterschiedlichen Positionen bei der Contracta als Geschäftsführer, Leiter oder Telefonwerber Kunden „über die Gewinnerwartung bei Warenterminoptionen getäuscht“ und das ihnen anvertraute Geld noch nicht einmal an einer Rohstoffbörse plaziert hätten, sollen sie seit 1985 einen Schaden von knapp 19 Mio. Mark verursacht haben. Dickster Brocken ist der Betrug gegenüber einem schleswig-holsteinischen Molkerei-Besitzer, der in einem Zivilprozeß gegen Brüggemann bereits Schadenersatz in Höhe von 13,7 Mio. Mark erstritten hat. Zweimal geht es um gebündelte Schadensfälle von 2,66 bzw 2,34 Mio. Mark. In der dreißigseitigen Anklageschrift sind mitunter pro Seite 20 Fälle von betrügerischen Warentermingeschäften aufgeführt.
Doch zu den Anklagevorwürfen kam es erst gar nicht, weil es diverse Anträge hagelte. Zum Beispiel aus Besorgnis der Befangenheit des Richters Krüger: Der habe vor nicht allzu langer Zeit noch als Staatsanwalt gearbeitet und sei möglicherweise indirekt mit den Ermittlungen gegen Brüggemann und Co befaßt gewesen. Gegen die Richterin Heiland, weil die „nur“ Beamtin auf Probe sei und deshalb nicht unabhängig. Eine Richterin auf Probe, so erklärte Birrs Anwalt Stoll, verstoße deshalb gegen die europäische Menschenrechtskonvention.
Birrs zweiter Anwalt Wolf Grezesch (Birr: „Vier Ohren hören mehr als zwei.“) monierte „informelle Absprachen zwischen Staatsanwaltschaft und der Kammer“. Die Akte aus dem verlorenen Zivilprozeß gegen den Molkerei- Besitzer, so vermutet der Anwalt, muß ohne offizielle Verfügung durch Initiative der Staatsanwaltschaft in die Hände des Gerichts gelangt sein, und das sei nicht Sinn der Gewaltenteilung.
Dann hatte Brüggemanns Anwalt Brieske seine große Stunde. Die Große Strafkammer VI sei gar nicht zuständig für Wirtschaftsstrafsachen. Zuständig sei vielmehr die V. Kammer, weil die ausschließlich Wirtschaftsstrafsachen verhandele. Der Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts, der der VI. Kammer die Wirtschaftsstrafsachen mit den Anfangsbuchstaben A bis G zuweise, tauge nichts. Mindestens 50% aller Eingänge müßten Wirtschaftsdelikte sein, meinte Brieske, wenn die Kammer kompetent urteilen solle. Die Quote der VI. Kammer liege deutlich darunter. Die Fallzahlen hatte sich Brieske vorher offiziell beim Kammervorsitzenden Schmacke geholt. Brieske: „Diese Kammer ist nicht der richtige Richter für meinen Mandanten.“
Die Anträge wegen Befangenheit müssen jetzt von den Beisitzern der V. Großen Strafkammer und eines weiteren Mitglieds des Landgerichts entschieden werden. Wahrscheinlich, so Schmacke, wird die ehemalige Staatsanwältin Claudia Traub dazukommen. Für diesen Fall erwog Rechtsanwalt Stoll gestern bereits einen Antrag, der sich gegen eine mögliche Verquickungen zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht wenden könnte. Markus Daschner
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