Serbien: Slobodan Milošević gewinnt noch einmal

■ Unklar ist aber, ob seine Sozialistische Partei die absolute Mehrheit erreicht hat oder eine Minderheitsregierung bilden muß / Opposition denkt über Koalition nach

Belgrad (taz) – Wieder mal will es keiner gewesen sein. Aber woher kommen die weit über 30 Prozent, die offenbar am Sonntag für die Sozialistische Partei gestimmt haben? Nach den ersten vorläufigen Wahlergebnissen, die Parteisprecher Dacić gestern vorlegte, haben in 83 von 175 Wahlbüros im Schnitt 37 Prozent für die Sozialistische Partei gestimmt; 16 Prozent für Draškovićs Depos-Bündnis, 13 Prozent für Šešeljs Radikale Partei und 11 Prozent für die Demokratische Partei. Nur knapp die Fünfprozenthürde überspringen konnte die Partei des Freischärlerführers „Arkan“.

37 Prozent aller Stimmen – zufrieden rechnete der pausbäckige Dacić vor, daß die Sozialisten damit zwischen 124 und 128 Mandate im Parlament erobert hätten –, also eine knappe Mehrheit im 250- Köpfe-Parlament Serbiens; genug für eine Regierungsbildung ohne lästige Koalitionspartner.

Nicht ganz so günstig für die Sozialisten sind die Quoten der amtlichen Wahlkommission, die bis gestern mittag etwa 50 Prozent aller abgegebenen Stimmen auswertete. Doch auch nach diesen Zahlen liegt die Sozialistische Partei in acht von neun Wahlbezirken bei über 30 Prozent – bei einer Wahlbeteiligung von rund 70 Prozent.

Und noch ungünstiger sind die Zahlen, die die Demokratische Partei vorlegte; sie geht von etwa 111 Mandaten für die Sozialisten aus – was bedeuten würde, daß die Sozialisten bestenfalls eine Minderheitsregierung bilden könnten.

Zwar rechnete niemand ernsthaft mit einem Sieg der bürgerlich- demokratischen Opposition. Aber daß die Sozialisten für ihre erstaunlichen Verdrängungskünste mit erheblichen Stimmenverlusten würden bezahlen müssen, daran zweifelte vor der Wahl eigentlich niemand. Sollten sich nun nicht die Daten der Sozialistischen Partei, sondern die der Opposition bestätigen, dann könnte die Regierungsbildung noch spannend werden. Koalitionsverhandlungen waren schon vor den Wahlen im Gange.

Die mutigste, weil unwahrscheinlichste Kombination: eine Koalitionsregierung der vier größten Oppositionsparteien. Die realistischste: ein Koalitionsangebot der Sozialisten an eine der größeren Oppositionsparteien. Doch wer wagt die halsbrecherische Zusammenarbeit mit den Sozialisten? Zoran Djindjić von der Demokratischen Partei, von vielen als heimlicher Koalitionsfavorit der Sozialisten gehandelt, stellte zwar schon vor den Wahlen vage Bedingungen auf; auf der gestrigen Pressekonferenz stellte er nun jedoch klar: eine Minderheitsregierung der Sozialisten wolle er nicht unterstützen; er wünsche eine Regierung der „Nationalen Einheit“. Karen Thürnau