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"Spring ins Feuer, laß dich taufen!"

■ Seltsames Spiel treibt die Berliner "Gemeinde Jesu Christi": In Uni, Bussen und Bahnen lockt die Sekte Jungvolk mit Rekrutierungsmethoden, wie sie sonst nur von Jugendreligionen bekannt sind

In der Tempelhofer Tanzschule Karat spielt sich sonntags mittags eine ungewöhnliche Szene ab: Etwa 200 Menschen sitzen im Halbkreis und lauschen gebannt einem Redner. „Wir werden Berlin erobern! Steig in die Schlacht, springe ins Feuer! Laß dich taufen!“ Mit einem nachdrücklichen „Amen“ beendet der enthusiastische junge Mann die einstündige Predigt. Das Publikum reagiert mit Standing ovations.

Die Berliner „Gemeinde Jesu Christi“ ist ein Ableger der amerikanischen „Boston Church of Christ“, die sich in den siebziger Jahren von den baptistischen „Churches of Christ“ abgespalten hat. Mittlerweile kann die Boston Church auf weltweit etwa 70.000 Mitglieder in 120 Gemeinden verweisen. Nach Deutschland kam die Bewegung 1988 mit Plänen für einen „Blitzkrieg“. Vor 45 Jahren hätte Hitlers „Blitzkriegstrategie“ versagt, „weil sie nicht von Gott war“, jedoch „mit Gott als seinem Führer wird ein Blitzkrieg deutschen Boden treffen, der Satans Festung zerstören wird...“, heißt es in einer internen Anweisung. Bisher gibt es allerdings nur Gemeinden in München und seit 1991 in Berlin.

Die Berliner Gruppe hat nach Schätzung von Markus Wende, Leiter des Projekttutoriums Sekten im universitären Bereich, 100 bis 150 getaufte Mitglieder. Eine Zahl, mit der die Boston Church offensichtlich nicht zufrieden ist, werden doch in den Zusammenkünften die Mitglieder ständig aufgefordert, neue „Jünger“ zu werben. Gemeinden in den GUS-Staaten mit mehreren Tausend Mitgliedern werden als Vorbild hingestellt.

Auch wenn die „Boston Church of Christ“ in Deutschland bisher noch keine durchschlagenden Erfolge hat, als harmlos kann sie nicht abgetan werden. Auf der Hitliste des Cult Awareness Network (CAN), einem USA-weiten Dachverband von Eltern- und Betroffeneninitiativen, rangiert diese fundamentalistische Bewegung auf Platz drei. Sie steht damit hinter den Satanskulten und der Scientology Church, aber sogar noch vor der Mun-Bewegung. Als „extreme christliche Sekte“ mit „Rekrutierungsmethoden, wie wir sie nur von Jugendreligionen kennen“, bezeichnet der Berliner Sektenbeauftragte der evangelischen Kirche, Thomas Gandow, die „Gemeinde Jesu Christi“. Zielgruppe sind hauptsächlich junge Menschen, die in Bussen, U-Bahnen und Universitäten angesprochen und zu den Bibelkreisen und Feten eingeladen werden. Mit dem Hauskreisleiter seien die „Kosten“ für die Werbung eines neuen Mitgliedes zu überschlagen, heißt es in einer Anweisung zum „Jünger machen“.

Das, was die 30jährige Petra (Name geändert) während ihrer Zeit in der Sekte erlebte, liest sich wie ein Lehrbuch über Jugendreligionen: Kurz nach der Trennung von ihrem Freund wurde Petra von einem Gemeindemitglied angesprochen. Im ersten Gottesdienst, an dem sie teilnahm, empfand sie die Atmosphäre noch als angenehm und ließ sich deshalb gerne wieder einladen. Nach wenigen Wochen war ihr Zeitplan von der Gruppe bestimmt: Morgens eine einstündige „Kraftzeit“ mit Bibel lesen und beten, nach der Arbeit entweder Bibelstudium, Gemeindeabend oder Hausbibelkreis.

Mit der „Taufe“ im Brunnen auf dem Alexanderplatz wurde Petra im Sommer vollwertiges Mitglied der Gemeinde. Nach Ansicht von Gandow sind diese öffentlichen Rituale allerdings eher als „Mutprobe“ denn als christliche Taufe zu verstehen. Ernste Zweifel kamen Petra allerdings, als sie sah, wie eine Mutter ihr Kleinkind schlug, das nicht vor dem Essen beten wollte. Als sie für eine Sonderkollekte nicht mehrere hundert Mark erübrigen konnte, schlug man ihr vor, Blut spenden zu gehen. Dank der Initiative ihrer Schwester, die durch Petras Verhalten alarmiert war, gelang ihr der Ausstieg.

Inhaltlich unterscheidet sich die „Boston Church of Christ“ an vielen Punkten nicht von anderen fundamentalistisch-christlichen Bewegungen. Eine Besonderheit ist das Prinzip des shepherding: Jedem Mitglied ist ein „Hirte“ oder eine „Hirtin“ als GesprächspartnerIn für Glaubensangelegenheiten zugewiesen. Der Inhalt dieser Gespräche allerdings bliebe nicht geheim, sondern würde an die nächsthöhere Instanz weitergegeben, weiß Gandow zu berichten. Außerdem lebt ein Großteil der Mitglieder in Wohngemeinschaften zusammen. Autorität und Disziplin werden in den Bibelkreisen und Gottesdiensten als positive Werte dargestellt, Toleranz hingegen ist verpönt. Die Gemeinde wird als Familie betrachtet, alle anderen als die da „draußen“.

In anderen Ländern hat sich die Sekte bereits Feinde geschaffen. „Campus ban on ,brainwash cult‘“ lautet eine Schlagzeile der britischen Zeitung The Mail vom 22. Januar 1989. Zwei Universitäten hätten der „Central London Church of Christ“, wie sie sich dort nennt, wegen ihrer Gehirnwäsche- Methoden Hausverbot erteilt, wird in dem Artikel ausgeführt. Aber auch in Berlin ist die „Gemeinde Jesu Christi“ schon unangenehm aufgefallen. So versucht die Leitung einer Krankenpflegeschule (Name ist der Redaktion bekannt), durch verstärkte Aufklärungsarbeit den missionarischen Aktivitäten der Sekte an ihrer Schule entgegenzuwirken. taz

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