: Im Angesicht des Pandabären
■ „Lieder, Chansons und anderes“ – Ute Lemper in der Bar jeder Vernunft
Bei irgendeiner Bemerkung von ihr über Eberhard Diepgen (es könnte die 37. gewesen sein) wurden ein paar unmutige Grummler im Publikum hörbar. Darauf hatte sie gewartet. „Ich weiß, ich weiß: den Mund halten. Die soll singen und – shut up!“ Dabei kann sie sich wirklich nicht beklagen. Die Premierenbesucher im proppenvollen Spiegelzelt der Bar jeder Vernunft ergaben sich Ute Lempers politischen und kulturkritischen Erörterungen ansonsten erschreckend klaglos. Zwischendurch hat sie den Mund auch tatsächlich immer wieder zum Singen aufgemacht, und das kann sie ja selbst mit leichter Heiserkeit ganz gut, und Bruno Fontaine am Klavier ließ nichts zu wünschen übrig. Zumal mit Liedern von Weill, Brel, Prévert oder Edith Piaf eigentlich gar nichts falsch zu machen ist. Wenn man ein Chanson stimmlich nicht bewältigt, so läßt sich das immer noch als Interpretation verkaufen.
Wenn sie also nur nicht soviel gequasselt hätte. Daß sie Musicals haßt, besonders die von Lloyd Webber, daß sie Weihnachten zum Kotzen findet, Kultur desgleichen, die Deutschen verabscheut, am meisten die Bonner; daß sie auch Berlin nur mal gerade so erträgt, unter der Olympiabewerbung unsäglich gelitten hat und in „Eberhard“ ihren Liebslingsfeind gefunden hat, wer könnte es ihr verdenken. Aber: Das mußte nun wirklich alles nicht mehr gesagt werden. So sympathisch diese umstandslose Null-Bock-Haltung ja sein mag, so unoriginell wie hier wurde sie selten verkauft.
Ute Lemper hat die Flucht nach vorn angetreten. Das Fräuleinwunder hat abgewirtschaftet, die chanteuse intellectuelle mit Texten von Paul Celan hat sich auch nicht durchgesetzt, jetzt geht die Dame aufs Ganze und gegen alle, und zwar unter Einsatz ihrer ganzen Person. Zwar hat sie nicht – wie befürchtet – aus ihrem autobiographischen Manuskript vorgelesen, aber trotzdem erfährt man mehr von ihr, als man jemals wissen wollte. Daß sie schwanger ist, sieht man, sie spricht ständig davon und bestreitet es doch gleichzeitig immer wieder. Auch hält sie eine Lektion über Sex in der Schwangerschaft, faselt von mehrstündigen Orgasmen und deutet an, daß ihr letzter vielleicht jetzt noch andauere. Wenn sie dann aber wieder singt, klingt es eher Lemperisch kühl als orgastisch.
Ute Lemper wäre gern rotzfrech und frivol, wühlt sich zu diesem Zweck auch beständig im Haar, kommt über eine bemühte Entgleistheit aber auch damit nicht hinaus. Der Esprit fehlt und der Sex-Appeal. Es soll nicht verheimlicht werden, daß das Publikum beschlossen hatte, begeistert zu sein. Am Ende überreichte eine Zuschauerin ihrer Ute sogar ein Weihnachtspaket sowie einen in Zellophan verpackten Pandabären. Da schwand bei der Lemper auch schon der Haß aufs Fest und die Welt, und Rührung trat ins eben noch zürnende Auge. Petra Kohse
Noch bis 28.12. außer 24.12., 20.30 Uhr in der Bar jeder Vernunft, Schaperstraße 24, Wilmersdorf.
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