Vom unheiligen Krieg der Saubermänner

■ Ein geräumter Bewohner vom Engelbecken zum Leben in der Wagenburg als Alternative zur Obdachlosigkeit oder: Wenn die Menschenwürde in den Schmutz getreten wird

Nach langer Obdachlosigkeit und Räumungen aus besetzten Häusern hatten wir am Engelbecken unser Dorf, unsere Burg gefunden. Für einige war dies auch ein neuer Lebensanfang nach langer Drogensucht. Hier waren nämlich alle harten Drogen tabu. Etliche hatten an einer Geschichte von Kinderheimen und Knästen zu tragen, viele Ausländer fühlten sich hier zu Hause.

Hier wurde jeder so angenommen, wie er ist, es gab nicht die Verachtung, wie wir sie auf der Straße erleben mußten, nicht die Einsamkeit und das Sich-Aufgeben der meisten Obdachlosen, nicht Zwang und Entmündigung und Vereinzelung wie in normalen Wohn- und Arbeitsverhältnissen. Hier wurde alles geteilt, nur wenige hatten Sozialhilfe, aber mit Schnorren, Feuerspucken, Hilfe aus der Nachbarschaft oder von den Kirchengemeinden konnte jeder leben, einige gingen auch arbeiten. Wir mußten bei der Räumung der Wagenburg erkennen, daß unsere Gegner nicht bereit waren, unsere Rechte anzuerkennen. Es ist ein Krieg gegen die, die sie nicht mit ihren Behörden gängeln können, nicht in ihren Fabriken arbeiten lassen können, nicht mit ihrem Mietwucher aussaugen können, kurz: die ihnen keinen Nutzen bringen. Entsprechend gipfelte die Begründung für das Tun der Politiker in der Aussage, eine Wagenburg widerspräche dem ästhetischen Empfinden einer Großstadt. Schönheit und Nicht-Schönheit entscheiden also übers Bleiberecht und rechtfertigen es, Grundrechte außer Kraft zu setzen, uns zu Opfern einer Treibjagd zu machen. Jeder Mensch sollte sich fragen, ob mit derselben Begründung nicht bald er selbst aus dieser Stadt verbannt würde – zum Beispiel wenn er krank ist, behindert, arbeitslos. Solche Befürchtungen haben viele, zumal Berlin ja Hauptstadt sein soll.

Wir sahen keinen anderen Ausweg, als uns an unserem großen Kreuz festzuketten und einen Hungerstreik zu beginnen. Wir waren nur noch wenige, die nach drei Tagen abgeschnitten und durch den Schlamm weggeschleift wurden. Meine Füße waren blutig. Aber wer so mißhandelt wird, der kriegt dazu noch eine Anzeige wegen Widerstands. Endlich waren wir wieder mit den anderen Platzbewohnern zusammen, die in der Zeit an der Bushaltestelle in ohnmächtiger Wut ausgehalten hatten. Die einzige Möglichkeit, mit diesem Erleben klarzukommen, war nun für viele der Alkohol. Der Kreislauf, daß ihre Menschenwürde in den Schmutz getreten wurde, daß sie, weil sie womöglich keine Aufenthaltserlaubnis hatten, nicht einmal protestieren konnten wie wir, ohne bei jeder Festnahme gleich einen Gefängnisaufenthalt zu riskieren, dieser Kreislauf hatte sich geschlossen. Ihnen schien nur noch ein halbes Untergrunddasein mit Betäubung möglich. Für die, die vor dem Roten Rathaus die Mahnwache begannen, war es die Kriminalisierung, mit der die Staatsorgane uns zur Kapitulation treiben wollten und wollen: zahllose Anzeigen, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, gegen die Straßenverkehrsordnung, gegen Grünflächenverordnung, und was weiß ich, behinderten unser freies Demonstrationsrecht. Wir mußten erleben, daß Obdachlose wirklich keine Rechte mehr haben, daß jeder Polizist sie willkürlich belästigen und schikanieren darf. Den einzigen, wenn auch schwachen Schutz bildeten die Passanten und Zuschauer oder die Presse, weswegen wir auch meistens nachts geweckt und schikaniert wurden. Wir wissen, daß dieser Prozeß noch lange nicht abgeschlossen ist. Auch den anderen Wagenburgen, in die wir nun geflüchtet sind, steht die Deportation bevor. Aussonderung und Abdrängen in die Asozialität sind fester Bestandteil unserer Wirtschaftsordnung. Der Gesellschaftskrieg geht weiter, vor allem da, wo Menschen nicht Opfer der Sozialbehörden sein wollen, sondern wo ihnen ihre Eigenständigkeit und Freiheit wichtiger ist. Bruder Kamillo