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Weihnachten: Alpendruck und Lebenshilfe Von Claudia Kohlhase

Sind Sie noch da? Nein, klar, Sie sind ja weg. Was weiß ich, wo, Hauptsache weg. Weg, weg. Vermutlich in Kuba, Riga oder Posemuckel. Oder doch vielleicht eher in Sölden, Walden oder Mulden? Da, wo der Tiefschnee knirscht und harscht?

Wir wissen es nicht wirklich, aber, wie gesagt, Hauptsache weg. Wer weg ist, ist eben schon mal weg und muß braun zurückkommen. Sonst könnte ja gleich in der Heimat geblieben werden. Schließlich fahren Sie doch weg, um zu Hause nicht dauernd für den gehalten zu werden, der Sie sind; im Zweifelsfall blaß. Lieber verwechselt werden in der Fremde.

Am besten, Sie nehmen das andere Gesocks gleich mit, egal welches, oder vielleicht doch am besten die paar Lehrer, die aus Versehen noch hiergeblieben sind. Und dann machen Sie von mir aus Aprés-Ski mit Hüttenschuhen und Alm-Öhi, wenn's bis Posemuckel oder dem Campingplatz in Kuala Lumpur nicht gereicht hat. Und lutschen Heiligabend eben Raclette mit broken Brot und steifem Hals im Grand Hotel. Als ambulante Geschenke empfehlen sich Duftlämpchen und Gewürzpotpourris, dann ist das schon mal außer Landes.

Für die heiligen drei Weihnachtstage in der Schnöde der Pension ist guter Rat allerdings teuer, wenn Rührung Sie ungeplant befallen sollte. Denn wohin mit der Notkerze im Zweibettzimmer voll Schrank und Alpendruck? Da ist es gut, daß man sowieso viel an die frische Luft soll. Am besten ist die Luft ja mitten im Tiefschnee. Ziehen Sie sich dazu hübsch bunt an, eine Neonmütze ist im Prinzip unumgänglich, weil Sie bei abgängigen Lawinen besser gefunden werden. Aber auch in den Stunden, die Sie in den Liftschlangen im schattigen Grund verbringen, müssen Sie nicht untätig herumstehen und infolgedessen erfrieren. Packen Sie doch eine kleine Häkelarbeit ein! Das hält die Finger am Leben, so daß sie nach kleineren Stürzen auch schneller wieder zusammenwachsen.

Bei Bügelliften stellt sich nun leider heraus, ob man den falschen Lebenspartner gewählt hat: ist etwa der Gatte zu groß, so daß der Bügel hoch- statt quersteht, rutscht die Gattin flottweg zurück ins Tal und hat so das Nachsehen. Also jetzt noch schnell aufgepaßt, wer grade einen Lebenspartner wählt. Sollten Sie allerdings in Mexiko oder Florida sein, trifft oben Gesagtes nicht zu. Apropos Costa Rica: Hier ist nur rechtzeitig der Flug zu buchen, der Rest kommt dann schon. Wer nach Posemuckel fährt, ist gut beraten, da ist noch alles offen. Was bleibt eigentlich bzw. wer? Bloß wir! Und zwar einsam und verlassen und ohne Schnee juchhe?

Oh nein, vereinzelt fallen sich Menschen auf offener Fußgängerzone um den Hals: Schließlich wissen nur wir, daß es Weihnachten gar nicht mehr gibt! Fällt aus! Schon seit Jahren. Ist ja keiner da außer uns. Na, wem sag ich das – wir hier wissen das ja alle. Aber sagen Sie's bloß nicht weiter. Sonst bleiben plötzlich alle hier, und dann muß Weihnachten wiederkommen. Und dann ist es aus mit unserem Frieden auf Erden und allen Hiergebliebenen ein Wohlgefallen und überall freien Parkplätzen.

Und wir müssen zusehen, daß ausgerechnet wir in die Ferne schweifen, weil das Gute auf einmal so schrecklich nah liegt.

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