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„Es war gut, daß ihr da ward“

■ Friedensmarsch nach Mostar konnte keinen Waffenstillstand erzwingen / Längerfristige Anwesenheit nötig

Kurt Südmersen vom Mindener „Bund für Soziale Verteidigung“ (BSV) hat bis zum 10. Dezember an dem Friedensmarsch „Sjeme Mira“ (Friedenssaat) in die umkämpfte herzegowinische Hauptstadt Mostar teilgenommen. Die 21 FriedensmarschiererInnen aus 6 Ländern, die sich am 1. Dezember im kroatischen Ploće trafen, wollten einerseits die Kommunikation zwischen bosnischem Ost- und kroatischem Westteil der Stadt wiederherstellen und andererseits versuchen, durch ihre Anwesenheit einen Waffenstillstand zu erzwingen.

taz: War Ihre Aktion, gemessen an Ihren Zielen, erfolgreich?

Kurt Südmersen: Viele Ziele haben wir nicht erreicht. Die Gruppe war einfach zu klein, um einen Waffenstillstand zu erzwingen, wir waren aber auch nicht lange genug da, um wirklich funktionierende Kommunikationsstränge zwischen beiden Stadtteilen wiederherzustellen.

Vorgestern haben die letzten Friedensmarschierer Mostar verlassen. Wie sieht es im herzegowinischen Kriegsgebiet jetzt aus?

Es ist merkwürdig, wenn man in Medjugorije ist und weiß, 40 Kilometer weiter liegt das eingekesselte Mostar. Währenddessen verläuft das Leben in Medjugorije scheinbar normal, es gibt Grundnahrungsmittel und sogar Frischgemüse. Man sieht, daß es an vielem mangelt, aber oberflächlich betrachtet, geht das Leben weiter.

Sie selbst waren nur im kroatischen Westteil Mostars. Wie ist die Lage dort?

Das Leben in West-Mostar ist – in Anführungsstrichen – relativ normal, d.h. die Schulen sind geöffnet, aber immer wieder werden Kinder auf dem Schulweg von Scharfschützen verwundet und auch getötet. West-Mostar wurde während unserer Anwesenheit nicht beschossen, aber es ist sehr gefährlich, die Straßen, die von Osten nach Westen verlaufen, zu begehen oder zu befahren, weil dort Scharfschützen sitzen.

Die in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Straßen sind durch Häuser relativ geschützt, und dort bewegen sich auch viele Menschen, die versuchen, ihr tägliches Leben zu regeln. Ich denke, die Mehrheit der Leute versucht auch im Krieg, eine relative Normalität in ihr Leben zu bekommen.

Im Vorfeld hatten sich Teile des antimilitaristischen Spektrums große Sorgen um die TeilnehmerInnen gemacht. Sind Sie in Gefahr gekommen?

Natürlich war der Besuch in Mostar nicht ungefährlich, aber ich denke, dadurch, daß wir mit Presseleuten, UNO-Mitarbeitern und Menschen vor Ort gesprochen haben, waren wir die gesamte Zeit in einer privilegierten Situation, was unsere persönliche Sicherheit angeht – besonders im Vergleich zu den Leuten in Ost-Mostar, die die Stadt nicht mal verlassen können.

Ein Teil Ihrer Gruppe war dort, wie sieht das Leben im Osten Mostars aus?

Die Kroaten beschießen das sogenannte „muslimische Ghetto“ – wo es nach wie vor auch Kroaten und Serben gibt, die dort auch weiter leben wollen, das sollte hier nicht vergessen werden – regelmäßig. Zur Logik des Krieges gehört zudem, daß die Leute der Propaganda ausgesetzt sind, d.h. auf beiden Seiten bestehen große Informationsdefizite, die Menschen glauben der Propaganda. Es hat echtes Erschrecken ausgelöst, als unsere Teilnehmer berichteten, daß auch von muslimischer Seite aus Kinder beschossen werden.

Unter den elf amerikanischen Teilnehmern waren auch zwei Vietnam-Veteranen. Wie wurden diese aufgenommen?

Sie haben im West- und im Ostteil mit verwundeten Soldaten gesprochen. In beiden Fällen waren die zunächst unwillig, überhaupt mit ihnen zu sprechen. Erst als sie hörten, daß die beiden in Vietnam gekämpft haben, kam es zu langen Gesprächen über ihre Situation als Soldaten. Es ging den kroatischen und muslimischen Soldaten vor allem darum, daß sie belogen werden, daß sie sich als Soldaten von den politisch Mächtigen mißbraucht fühlen. Sie erleben jeden Tag, daß sie schon als Verwundete für die politisch Verantwortlichen nicht mehr zu gebrauchen sind.

Planen Sie weitere Aktionen dieser Art?

Es kommt jetzt darauf an, langfristige Arbeit zu leisten. Freiwillige müßten vielleicht ein halbes oder auch ein ganzes Jahr in der Region bleiben, um Kommunikationsstränge aufbauen zu können, die dauerhaft halten. „Sjeme Mira“ war dazu ein kleiner Anstoß, und die Leute, mit denen wir gesprochen haben, haben uns gesagt, „es war gut, daß ihr da wart, wir wollen nicht nur mit anonymen Hilfslieferungen abgespeist werden“. Ich denke, nach all meiner Skepsis gegenüber „Sjeme Mira“, daß kleine Gruppen notwendig sind, die von hier aus Kontakt zu allen möglichen Menschen im Kriegsgebiet aufnehmen und ihre Erfahrungen verbreiten. Bei uns muß mehr Verständnis für die Bevölkerung in Bosnien entstehen, damit der Mythos, auf dem Balkan seien die Leute ebenso, zerstört wird. Interview: Rüdiger Rossig

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