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Weihnachten – in Wahrheit nur ein biochemischer Unfall

■ Warum zu Weihnachten die Weihnachtsstimmung aufkommt / Süßes erhöht die Glücksgefühle, Kerzenlicht gibt uns den Rest

Berlin (taz) – Auch wenn der Heilige Vater im Vatikan jetzt gleich einen Herzstillstand bekommt und der gläubigen Leserschaft der Schrecken ins Lametta fährt, es ist einfach so: Mit Religion hat das üppige Feiern an Weihnachten nichts zu tun! Von wegen Freude über Christi Geburt: All das Glück und die seelige Zufriedenheit sind Folge hormoneller Launen, biochemischer Prozeße.

Der allgemeine Gefühlsdusel ist gut zu erklären. Das Süße macht's! Zucker ist der Stoff, aus dem die Lebenslust kommt. Zucker jagt den Serotoninspiegel im Gehirn hoch – ein Glückshormon. Zimtsterne und Schokotaler werden eingeworfen wie Happy-Pillen. Das kann doch nicht wahr sein? Ist es aber doch. Warum hängen neben den Christbaumkugeln Lebkuchen und kein Salzgebäck, warum Nußkringel und keine Gewürzgurken? Sweet dreams...

Eigentlich sind wir in diesen Tagen tieftraurig, melancholisch, ja geradezu depressiv. Und schuld daran ist die Jahreszeit, die dunkle. Helles Licht nämlich verhindert den Abbau von Serotonin, und wenn im Herbst und Winter die Sonne früher verschwindet, überkommt einen mächtig der Dämmerlich-Blues. Tja, unterm Tannebaum würde ein riesiges Orchester von Trübsal-Bläsern sitzen, wenn die vielen köstlichen Zuckerplätzchen nicht wären.

Darauf ein Prosit! Alkohol nämlich blockiert den Abbau unseres Glückshormons Serotonin. Das ist der ganze Trick dabei: mit Süßem den Pegel puschen, mit einem Gläschen den Abbau stoppen. Kein Wunder, daß gerade am Abend die Pullen geöffnet werden. Eine ideale Synthese sind Schnapspralinen. Die törnen an wie ein Trip in den sonnigen Süden.

Und am Morgen danach? Honig aufs Brot, Marmelade hinterher, und den endgültigen Kick verschafft ein Stück vom Christstollen. Ein Teufelskreis, gewiß, aber einer, der zufrieden macht. Und so richtig im Hochgefühl schwebt der Mensch, wenn der Lichterbaum dazukommt, wenn gleißende Kerzen das Auge erfreuen und für Helligkeit sorgen – Euphorie total.

Ziemlich entmystifizierend fürs geliebte Christfest, das Ganze? Mag sein, aber die Analyse stammt vom Lebensmittelchemiker Udo Pollmer. Und der 39jährige sollte es wissen, schließlich ist er der einzige deutsche Wissenschaftler seiner Branche im „Who's who in science and ingeneering“. Belege für die Thesen gibt es zuhauf. Polarforscher haben Probleme mit der Depressivität – nach Norden hin nimmt das Licht ab und die Trübsal zu.

Koffein im übrigen erhöht den Serotoninspiegel ebenfalls, und auch wenn Italien mit Espresso und Cappuccino als Land des Kaffeeschlemmens gilt: In Skandinavien wird drei bis viermal so viel Kaffee getrunken wie am Mittelmeer. Warum wohl?

Folgt die schlechte Nachricht für Vegetarier: Auch Fleisch fördert über diesen Mechanismus das Wohlbefinden, die tote Weihnachtsgans erfüllt einen guten Zweck. Doch sind die Müslis nicht verloren: Skifahren wäre ein durchaus probates Mittel – Helligkeit und körperliche Betätigung sorgen auch ohne Braten für freundliche Stimmung. Blöd nur, daß die Alpen darunter leiden. Es ist schon vertrackt: „Würde man alle Skihänge aus Naturschutzgründen sperren“, sagt Pollmer, „würden die Leute mehr saufen – das steht fest!“

Traurig, aber wahr: Ein Eckpfeiler christlich-abendländischer Kultur ist nichts als ein Produkt unserer Gier nach süßem Naschwerk, ein biochemischer Unfall. Sehr zum Leidwesen der Süßwarenindustrie. Die versucht uns an Ostern mit Schokohasen zu stopfen – ohne großen Erfolg. Wenn der Herr im Frühjahr von den Toten aufersteht, ist es draußen schon wieder hell. Dann steigt die Laune auch ohne Zucker und Schnaps. Herr Thömmes

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