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An der Schwelle zu kultureller Hegemonie

Am Jahresende 1993 drängt sich angesichts der europaweiten Erfolge des neuen Faschismus die Schlußfolgerung auf, daß die Lage der politischen Rechten in Deutschland günstig ist wie nie zuvor.

Jedem unbefangenen Betrachter wird sich das Jahr 1993 als das erfolgreichste Jahr des europäischen Faschismus seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges einprägen. Der Änderung des Asylparagraphen im deutschen Grundgesetz folgten unter anderem die erstaunlichen Wahlerfolge der neofaschistischen MSI bei den italienischen Kommunalwahlen sowie der überwältigende Wahlsieg der russischen Faschisten bei der ersten freien Parlamentswahl seit der Oktoberrevolution. In Frankreich und Österreich gehören Jean-Marie Le Pen und Jörg Haider längst zur Grundausstattung des parlamentarischen Systems. Damit ist der Faschismus nicht mehr – wie bisher – ein Popanz linker Selbstbestätigung oder ein exotisches Gespenst. Vielmehr sind faschistische Parteien zu einem normalen Bestandteil des westlichen Parlamentarismus geworden.

Die faschistischen Programme weisen – bei allen regionalen und nationalen Unterschieden – europaweit eine große Homogenität und innere Konsistenz auf. Forderungen nach außenwirtschaftlichem Protektionismus und bündnispolitischer Zurückhaltung verbinden sich mit der Sehnsucht nach identitärer, präsidialer Demokratie, mit Entwürfen zu einer immigrationsfeindlichen Sicherheitspolitik und dem Ziel einer Ankurbelung der nationalen Rüstungs- und Schwerindustrie. Ideologisch profitieren die faschistischen Parteien sowohl vom Legitimationsverlust der politischen Klassen als auch von den sozialen Einbußen und psychischen Verlusterfahrungen, die mit der gegenwärtigen Verwertungskrise der Kapitale auf dem Weltmarkt einhergehen.

Gewiß: Die Schichten, Milieus und Klassen, die in unterschiedlichen Ländern und Regionen derlei Parteien ganz oder teilweise, auf jeden Fall aber offen anhängen, unterscheiden sich erheblich voneinander, sind aber bisher noch überwiegend in der männlichen unteren Mittelschicht beziehungsweise der Arbeiterschaft zu finden. Soziologische Unterscheidungen, von Politikern und Wissenschaftlern aus Rücksicht auf Wählerpotentiale getroffen, behalten dabei durchaus ihr Recht. Mit differenzierten Begriffen wie „Rechtspopulismus“, „Nationalkonservativismus“ „Wohlstandschauvinismus“ lassen sich übereilte Projektionen auf die dreißiger und vierziger Jahre ebenso vermeiden wie das Stigmatisieren von Wählergruppen oder Politikern, die man umwerben oder als mögliche Koalitionspartner bewahren möchte.

Gleichwohl übersieht diese nur scheinbar genaue Betrachtungsweise die Attraktivität der faschistischen Programme, die ja nicht weniger beinhalten als jedenfalls kurzfristig wirksame Vorschläge zur Eindämmung der Arbeitslosigkeit, zum Rückgewinn von Legitimation für politisches Handeln und zur Stärkung des subjektiven Sicherheitsempfindens. Darüber hinaus verkennt die „antialarmistische“ Betrachtungsweise den Umstand, daß faschistische Programme, Parteien und Personen nicht nur Protest gegen aktuelle politische Zustände, sondern auch deren deutlicher Ausdruck sind. Das läßt sich am deutschen Beispiel besonders gut beobachten, wo rechte Ideologeme und Politik kurz vor dem Durchbruch zu kultureller Hegemonie stehen.

Rechte Themen, Personen und Programme haben sich in den unterschiedlichen Arenen des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland seit 1991 einen bedeutsamen Platz erobert. In der Arena der Kultur haben sich – nach dem zunächst gescheiterten Versuch der Jahre 1987/88 (dem „Historikerstreit“) – bedeutsame Repräsentanten des literarischen, wissenschaftlichen, journalistischen und verlegerischen Betriebs offen zum Ticket des Nationalismus bekannt.

...so fehlt nur noch ein geschickter Agitator

Dichter nehmen das nationale Thema auf, Intellektuelle predigen nicht nur negative Anthropologie und geschmäcklerische Demokratiekritik, sondern auch die Überlegenheit konservativer bis reaktionärer Politik. Bekannte Verlage verbreiten von melancholisch preußischen Geschichtsmeditationen über gehobenen Kulturantisemitismus bis zu plattem Geschichtsrevisionismus ein Breitbandangebot deutschnationaler Stimmungslagen. Bisher als liberal geltende Magazine und Wochenzeitungen haben sich entweder schon zu Vorreitern des neuen Nationalismus gemacht oder sind noch von Auseinandersetzungen über diesen Kurswechsel zerrissen.

In der Arena der Politik verdichtet sich seit Volker Rühes „Asylantenukas“ vom September 1991 der Rechtstrend der CDU, ein Rechtstrend, dem die andere Volkspartei nachgegeben hat und weiter nachgeben wird. Trotz aller Lichterketten haben nämlich die von der Bundesregierung ermunterten gewalttätigen Rechtsextremisten die Inszenierung des tödlichen Volksaufstands gegen als fremd geltende Minderheiten so effektiv betrieben, daß in der SPD der Eindruck entstehen konnte, es sei um des sozialen Friedens willen ein Nachgeben in der Asylfrage unumgänglich. Die folgenden Debatten um die Einschränkung bisher unverletzlicher Freiheitsrechte („Lauschangriff“), der Vorschlag eines sozialdemokratischen Landeschefs, die Freizügigkeit von Menschen ohne deutschen Paß einzuschränken sowie die jüngsten Vorschläge von Wolfgang Schäuble zum inneren Einsatz der Bundeswehr zeigen, daß der Wille zur Zerstörung einer liberalen politischen Kultur in beiden Volksparteien auch ohne äußeren Druck an Boden gewinnt. Die entschlossene antieuropäische Politik der CSU und die allmähliche Abwendung der CDU von der Idee eines europäischen Bundesstaates bekräftigen zudem die Bereitschaft zu einer nicht nur ideologischen, sondern auch operativen Nationalisierung deutscher Außenpolitik.

In der Arena der Ökonomie führen Defizite der öffentlichen Haushalte und sinkende Erträge in Industrie und Gewerbe zu einer Situation, die durch wachsende Arbeitslosigkeit, zunehmende Armut und zugleich durch massive Kürzungen sozialer Ausgleichsleistungen gekennzeichnet ist. Die Gleichzeitigkeit von öffentlicher Austeritätspolitik und privatwirtschaftlichen Rationalisierungen führt zum Anwachsen jenes Potentials an Verzweiflung, Zukunftsangst und Armut, von dem die Rechte profitiert. Wagt man vor diesem Hintergrund eine Prognose, so wird man zu dem Schluß kommen, daß trotz absehbar sinkender Stimmenanteile der CDU/ CSU sowie der nur knappen Wahlchancen der „Republikaner“ die Lage der politischen Rechten in Deutschland zwar nicht glänzend, aber doch günstig wie nie zuvor ist.

Unterscheidet man zwischen den Chancen der politischen Rechten im allgemeinen – die in der Politik der Volksparteien langsam aber sicher an Rückhalt gewinnt – und dem eigens ausdifferenzierten Rechtsextremismus, so fällt der Blick vor allem auf Phänomene wie eine derzeit in Gründung befindliche nationalliberale Europapartei oder auf Absplitterungen aus der bürgerlichen Mitte der CDU, die zwar – wie in Hamburg – eher unpolitisch querulatorisch wirken, aber anderswo durchaus eine „honorige“ Rechte darstellen.

Sollte es schließlich zu einem Amalgam von nationalem Isolationismus, wachsendem Zuspruch zu einer plebiszitären Regierungschefdemokratie und einem offenen Bekenntnis von Teilen des Managements und der jetzt noch schweigendem akademischen Anhängerschaft der „Republikaner“ kommen, so fehlt nur noch ein halbwegs geschickter Agitator, um das faschistische Projekt politiktauglich zu machen. Micha Brumlik

Der Autor ist Professor für Pädagogik an der Uni Heidelberg

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