Weihnachten am 6. Januar

■ Von Russen, Serben und orientalischen Christen in Berlin / Der Weihnachtsbaum ist ein Zugeständnis an die Moderne oder ein Symbol des Dornbusches

Nicht jeder Berliner, der noch am Morgen des 6. Januar einen ungeschmückten Weihnachtsbaum auf dem Balkon stehen hat, ist ein Ignorant oder Atheist. Es könnte auch ein orthodoxer Christ sein, einer, der die westliche Kulturtradition des Tannenbaums verbindet mit der östlichen christlichen Glaubenslehre, einer, der die Kirchenfeiertage nicht nach dem gregorianischen, sondern nach dem julianischen Kalender feiert. Also jemand, der erst am „Heiligen Abend“ des 6. Januar seinen Lichterbaum ins Zimmer rückt und das eigentliche Weihnachtsfest am 7. Januar feiert. In Berlin sind das etwa 10.000 bis 20.000 Menschen.

Ihr Nachteil: Die Weihnachtsfeiertage sind nicht automatisch arbeits- oder schulfrei, sondern die orthodoxen Christen müssen einen Antrag auf Arbeitsbefreiung stellen. Und dieser wird in der Regel nur im öffentlichen Dienst gewährt und auch nur, wenn die „Extrafeiertage“ vor- oder nachgearbeitet werden können. Bis auf die griechisch-orthodoxe Gemeinde, die Weihnachten nach dem katholischen Feiertagsrhythmus feiert, haben alle anderen orthodoxen Gemeinden ihre Festliturgien deshalb um den normalen Arbeitstag herumgruppiert.

„Schon alleine der Kinder wegen ist der Weihnachtsbaum inzwischen üblich“, sagt Bischof Feofan, seit Ende 1991 oberster Hirte der russisch-orthodoxen Kirche in Berlin. Allerdings sei es immer noch unüblich, am „Vorabend des Hochfestes“, also am Heiligabend, Geschenke zu verteilen. Damit warten die Russen bis zum Jolkafest, die säkularisierte Form des „Tages der Heiligen Drei Könige“. Die russische Gemeinde feiert ihn, um einige Tage vorgezogen, am Sonntag dem 9. Januar, in der russischen Kirche von Karlshorst. Die eigentlichen Festliturgien finden aber am 6. Januar ab 17 Uhr in Karlshorst (Wildensteinerstraße 10), auf dem russischen Friedhof in Tegel (Wittestraße 37), in der Alexander-Newski-Kirche in Potsdam und um 18 Uhr in der Auferstehungskathedrale in Wilmersdorf (Hohenzollerndamm 166) statt. Dort wird auch Bischof Feofan die Liturgie leiten und ebenfalls am 7. Januar die Feiern zum „Hochfest“. Dieser Tag beendet auch die 40tägige fleischlose Fastenzeit. Im Unterschied zum wichtigsten Fest der Russisch-Orthodoxen, nämlich Ostern, gibt es keine besonderen Spezialitäten auf dem Tisch. In Berlin leben etwa 15.000 Russen, von denen etwa 1.000 bis 2.000 zu den großen Festen in die Kirche kommen.

Neben der großen russischen Kirche, die zum Moskauer Patriarchat gehört, gibt es noch die russisch-orthodoxe „Auslandskirche“. Im Bundesgebiet gehören ihr etwa 25.000 Menschen an, in Berlin ist sie allerdings so klein und arm, daß ihr einziger Priester, Ewgenij Sapronow, vor drei Wochen sogar das Telefon abbestellen mußte. Es gibt auch nur eine winzige Betstube in der Kulmbacher Straße 6. „Wir reden erst wieder miteinander, wenn das Moskauer Patriarchat sich für seine Loyalitätserklärung von 1927 gegenüber der Sowjetunion entschuldigt“, sagt der deutsche Erzbischof Michael Mark aus München. Die Auslandskirche kann es auch nicht verwinden, daß die Alliierten die von ihrer Gemeinde gebaute Auferstehungskathedrale in Wilmersdorf dem „sowjethörigen“ Patriarchat überlassen hat.

Von Politik soll bei der Predigt des serbisch-orthodoxen Priesters Dragan Sekulics in der Ruppiner Straße 28 (18 Uhr) nicht die Rede sein. „Wir beten für alle Leidenden“, sagt er, und „nicht für Nationen.“ Nach seiner Schätzung leben inzwischen über 15.000 Serben in der Stadt, mindestens ein Drittel seien bosnische Serben, viele von ihnen Flüchtlinge. Im vergangenen Jahr besuchten fast 3.000 Serben seine Weihnachtsgottesdienste. Zur aktuellen Lage in Bosnien möchte er nichts sagen und erst recht nichts über das enge Verhältnis der serbisch-orthodoxen Staatskirche zu Milošević. Noch einmal betont er eindringlich, daß sein christlicher Auftrag laute, für alle zu beten, „gleich ob leidender katholischer Kroate, serbischer Orthodoxer oder bosnischer Moslem“. Der Weihnachtsbaum ist übrigens bei den Serben traditionellerweise eine Eiche. Unter ihren Ästen werden Heu ausgebreitet und Krippenfiguren hineingestellt.

Einen Weihnachtsbaum kennen dafür sämtliche fünf orientalische Christengemeinschaften. Im einzelnen sind das die koptische, äthiopische, syrisch-orthodoxe, die indische Malabar und die armenisch-apostolische Kirche. Zwischen den Orthodoxen und den (orthodoxen) Orientalen besteht keine Kirchengemeinschaft, auch wenn sie nach dem Alten Kalender feiern und beten. Orthodox heißt hier nur, „rechtgläubig“ sein. Die Trennung ist ein Ergebnis der Kirchenspaltung des Jahres 431. Alle Orientalen haben ihre eigene, weit über tausend Jahre alte Liturgie und Kirchensprache unverändert beibehalten.

Der moderne Tannenbaum ist für sie heute ein Symbol des Dornbuschs aus der Wüste Sinai. Die orientalischen Gemeinschaften einigt auch die aktuelle Verfolgung in den re-islamisierten arabischen und vorderasiatischen Ländern. Alle Gemeinschaften haben in Berlin ihre eigenen Beträume, wenn auch nicht immer eigene geistliche Betreuer. Deshalb findet die gemeinsame große Weihnachtsfeier am Vormittag des 6. Januar (von 8 Uhr bis 11 Uhr) in der mitgliederstärksten Gemeinde der Syrisch-Orthodoxen in der St. Ludgerus-Kirche, Potsdamer Straße 94, statt. In Berlin leben vielleicht, so Amil Gorgis, ökumenischer Beauftragter der Orientalen, etwa 3.500 orientalische Christen, drei Viertel von ihnen gehören zur Syrischen Gemeinde. Sie wird von zwei Priestern und drei Pfarrern betreut. Am Weihnachtsfest wird nicht die Geburt Christi gefeiert, sondern seine Taufe durch Johannes. Und die fand genau 30 Jahre nach Geburt statt. Anita Kugler

Im Büro der Ausländerbeauftragten, Potsdamer Straße 65, kann für drei Mark in Briefmarken eine sehr informative Übersicht „Weltreligionen in Berlin“ bestellt werden.