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„Nicht verblöden“

Immer mehr Spitzensportler ziehen den Zivildienst der Bundeswehr vor  ■ Von Matthias Kittmann

Berlin (taz) – Gäbe es eine Weltmeisterschaft für Kriegsdienstverweigerer – die deutschen Basketballer hätten realistische Chancen auf Platz 1. Die erste Fünf könnte so aussehen: Henning Harnisch, Michael Koch, Moritz Kleine-Brockhoff (alle Bayer Leverkusen), Henrik Rödl (Alba Berlin) und Jens Oltrogge (BG Offenbach/Neu-Isenburg). Eine erstklassige Auswahl, und das kommt nicht von ungefähr. Basketball gehört zu jenen Sportarten, in denen junge Männer häufiger als andere Spitzensportler von Art.4 Abs.3 GG Gebrauch machen, dem Antragsgrundrecht, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern.

Für Hochleistungssportler galt lange Zeit der Satz vom Militär als „Schule der Nation“ in besonderem Maße. Mittlerweile aber gehören zu den über 100.000 Wehrpflichtigen pro Jahr, die „Nein, danke“ zur Bundeswehr sagen, immer mehr Sportler. Dabei locken die Engelmacher von Phnom Penh nach wie vor mit ihrer außerordentlichen Bundeswehr-Sportförderung. Für Marco Bode, Kriegsdienstverweigerer und Fußballprofi bei Werder Bremen, war dies trotzdem kein Anlaß, den ausgetretenen Weg zu gehen: „Auch wenn ich bei der Bundeswehr gute Chancen gehabt hätte, intensiv trainieren zu können, ohne sehr viel Dienst schieben zu müssen, gab es keinen Grund, meine politische Überzeugung zurückzunehmen“, äußerte er sich 1989. Während seiner Zivildienstzeit 1989/90 hat er morgens Senioren in einem Altenheim betreut, nachmittags ging es dann zum Training der Profis.

Daß es seit 1987 auch für zivildienstpflichtige Spitzensportler eine Förderung gibt, erfuhr der Fußballer nur durch Zufall. Rudolf Schmidt, Leiter der Verwaltungsstelle „Sport im Zivildienst“ in Frankfurt, ist mit diesem Problem vertraut: „Am Anfang wußte niemand von dieser Möglichkeit, seinen Ersatzdienst abzuleisten. Aber es hat sich im Schneeballsystem ausgebreitet.“ Wie zum Beweis läutet sein Telefon, und noch bevor er den Hörer abhebt, versichert er: „Das ist wieder ein Sportler, der beraten werden möchte.“ Und tatsächlich, eine geförderte Zivildienststelle im Raum Hannover soll es sein. 63 Stellen mit 90 Plätzen gibt es derzeit für anerkannte Verweigerer und Hochleistungssportler, davon sind momentan etwa die Hälfte besetzt.

Wer darauf Anspruch hat, ist dem Faltblatt „Spitzensportler machen Zivildienst“ zu entnehmen: Der Betreffende muß „Mitglied des A-, B-, D/C-Kaders eines Spitzenverbandes im Deutschen Sportbund (DSB) sein“. Wichtigstes Merkmal dieser geförderten Zivildienstplätze ist, daß die Sportler für Wettkämpfe und Lehrgänge vom Dienst freigestellt werden. Doch schon beim Training wird verlangt, mindestens die Hälfte davon außerhalb des Dienstplans zu absolvieren. „Diese Regelung kann nur ein erster Versuch sein, die Wehrungerechtigkeit für zivildienstpflichtige Spitzensportler etwas abzumildern“, stellt Schmidt klar. In seinem Koordinationsbüro in der Frankfurter Otto-Fleck- Schneise 12, das der Deutschen Sportjugend (dsj) angegliedert ist, werden die Fäden für die Sportförderung gezogen.

Rudolf Schmidt gehörte in den 80er Jahren zu den Initiatoren dieser neuen Regelung im Zivildienst. Immer mehr verweigernde Sportler waren darüber verärgert, daß sie praktisch vor die Wahl gestellt wurden, zur Bundeswehr zu gehen oder den Spitzensport aufzugeben. Der entscheidende Anstoß kam dann ausgerechnet von der Presse, als dem damaligen Zivildienstbeauftragten Peter Hintze ein Interview mit Schmidt vorgespielt wurde, in dem dieser festgestellt hatte: „Die Sportförderung für Zivildienstleistende ist längst ausgearbeitet. Was fehlt, ist das Ja der Politiker.“ Hintze, in ZDL-Kreisen damals als „scheinheiliger Kasper“ angesehen, machte einmal etwas Vernünftiges: Er empfahl dem Ministerium, die Sportförderung für Zivis zu verabschieden. Um Dienststellen die Aufnahme von Sportlern zu „versüßen“ – es gibt keine Verpflichtung dazu –, gewährt das Bundesamt für den Zivildienst (BAZ) ihnen einen Aufwandszuschuß. Trotzdem nimmt sich der Etat für die Sport-Zivis eher bescheiden aus. Weniger als eine Million DM im Jahr wird dafür aufgewendet. Zum Vergleich: Das Verteidigungsministerium läßt sich die Förderung seiner 750 Sportsoldaten per anno ca. 120 Millionen kosten. Ein gewaltiger Unterschied.

Wehrdienstleistende Staatssportler schauen nach der dreimonatigen Grundausbildung häufig nur noch auf ein „Grüß Gott“ beim Wachhabenden vorbei. Denn für sie gilt: Dienst gleich Training, und „das dienstliche Training findet in der Regel in den Leistungszentren der Spitzenverbände statt“. Anders bei den waffenlosen Kollegen. Henning Harnisch, er betreute im Zivildienst behinderte Kinder, erinnert sich noch gut: „7.45 Uhr war Dienstbeginn. Wenn die anderen Mittagspause hatten, bin ich in den Kraftraum. Nach Dienstschluß folgte eine zweite Trainingseinheit mit der Mannschaft. Ein ganz schöner Schlauch.“ Kein Wunder, daß Nachwuchstalente in den besonders trainingsintensiven Sportarten (wie z.B. Schwimmen) stark in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt sind. „In diesem Alter haben die meisten die größte Leistungsfähigkeit, um ihr Potential voll auszuschöpfen. Wer in dieser Zeit nicht optimal trainiert, kann kaum das Leistungsniveau halten, geschweige denn verbessern“, schildert Schmidt die Situation.

Aber Änderung ist in Sicht. In Zukunft sollen spitzensportgeförderte Zivis ebenso wie ihre Altersgenossen beim Militär ihr Training als Dienst anrechnen können. Eine wirkliche Gleichbehandlung ist jedoch kaum zu erwarten – so mancher Olympiastützpunkt wird Sport-Zivis weiterhin verwehrt bleiben. Einige Leistungszentren liegen nämlich in militärischen Sicherheitsbereichen. Dort sieht man Kriegsdienstverweigerer gar nicht gerne.

Erst recht keinen wie den Skispringer Dieter Thoma, der mit seiner Meinung nicht hinterm Berg hält. Immerhin könnte er als fliegender Feldwebel 50.000 DM im Jahr verdienen. Für einen Fast- Amateur kein Pappenstiel. Aber er hat außer seinem Gewissen einen ganz persönlichen, triftigen Grund, der Bundeswehr fernzubleiben: „Um nicht zu verblöden.“

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