: Das Bischofferode-Ultimatum
Trotz allgemein abwiegelnder Berichterstattung wächst die Solidarität mit den streikenden Hungerkünstlern aus der Kali-Grube / Neues Investorangebot ■ Aus Bischofferode Helmut Höge
„Gedenket der Brüder und Schwestern, die das Schicksal unserer Vereinigung tragen“, lautet ein Transparent, das im holzgetäfelten Sitzungssaal der Schachtleitung hängt. Dort haben die Hungerstreikenden jetzt Campingliegen aufgestellt. Unter dem Kronleuchter tagt – in Permanenz – die Arbeitsgruppe Öffentlichkeit. Während das „Org.-Büro“ des Betriebsrates Solidaritäts-Anrufe Tag und Nacht entgegennimmt und die Medien informiert, bearbeiten die Hungerstreikenden – mit handschriftlichen Faxen – Helmut Schmidt, Rudolf Augstein, Ralph Giordano und andere Prominente: „Bitte setzen Sie sich mit ganzer Kraft für den Erhalt der Kali-Grube ein. Die Medien berichten nur verzerrt über unseren Arbeitskampf.“
Noch immer ist nicht klar, wem der Bischofferoder Schacht „Thomas Müntzer“ eigentlich gehört, noch wer ihn verwaltet, und einen Sozialplan gibt es auch noch nicht. Versprochen wurde lediglich eine Abfindung von „maximal“ 25.000 DM, alternativ dazu eine Übernahme in die treuhandeigene GVV (Gesellschaft zur Verwahrung und Verwertung stillgelegter Bergwerke), die aber nur eine Beschäftigung für höchstens 200 Leute hätte. Der Betriebsrat fordert deswegen einen Aufschub des Ultimatums um mindestens einen Monat, schon allein damit die Treuhand, wie versprochen, ein neues Angebot des Investors Peine prüft, das – mit einer an die Kaliförderung angekoppelten Baustoffproduktion – die Übernahme aller Mitarbeiter garantiert.
Man sitzt in Gruppen im Speisesaal oder nebenan im Kumpelnest „Bergmanns-Klause“ zusammen, steht um das Mahnfeuer vorm Werkstor und im Vorraum der Wache, wo ein Fernseher läuft. Gleich daneben hat n-tv seinen Übertragungswagen aufgebaut. Auf dem Weg über den Hof kommen mir acht Betriebsräte der Deutschen Seereederei Rostock entgegen. Trotz der abwiegelnden Berichterstattung über dieses letzte Gefecht im Eichsfeld kommt die Unterstützung langsam in Gang; in Bischofferode werden die Parkplätze knapp. Ein mithungernder Gewerkschafter aus Hoyerswerda ist mit dem Zug angereist, ebenso ein Arbeiter aus der Pfalz; eine größere Gruppe des Berliner „Solidaritätskomitees“ ist angekündigt.
Trotz der von der Geschäftsleitung abgeschalteten Lüftungsanlage sind einige Kumpel wieder eingefahren und halten den Schacht unter Tage besetzt. „Warm ist es!“ antwortet Besetzerkumpel Thomas auf die telefonische Frage, wie es ihm dort unten in 600 Meter Tiefe denn so geht. Hier oben muß man sich alle paar Minuten am Mahnfeuer vorm Tor die Hände wärmen. Auch in der Wache ist es kalt; der Betriebsrat gewährt den Hungerstreikenden deswegen einen Extra-Fernseher für ihren Aufenthaltsraum: „Damit können wir sofort auf verfälschende Darstellungen reagieren“, meint ein mithungernder türkischer Kollege aus Hessen.
Aufmunterndes erfährt man aus dem Landtag: In der Nähe von Eichsfeld wird ein „moderner Freizeitpark“ – für 120 Millionen DM – entstehen! „Da können wir dann den ganzen Tag Achterbahn fahren“, kommentiert der nun zum zweiten Mal hungerstreikende Anlagenfahrer Andreas Isemann. Die letzte Nachricht: In Erfurt haben am Mittwoch Verhandlungen über Ersatzarbeitsplätze für die knapp 700 Kali-Bergleute begonnen. Der Sprecher des Betriebsrates setzt „keine großen Erwartungen in das Gespräch“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen