: Im Drogenkrieg sind die Toten Kolumbianer
Nach dem Tod von Pablo Escobar wird in Kolumbien über neue Strategien zur Bekämpfung der Drogenkriminalität diskutiert / Befürworter von „legalize it“ sind (noch?) in der Minderheit / Konflikt zwischen Nord und Süd ■ Aus Bogotá Ralf Leonhard
Kaum ist Pablo Escobar, der meistgesuchte Kokainhändler der Welt, unter der Erde, flammt in Kolumbien die Debatte über die beste Strategie gegen die überhandnehmende Drogenkriminalität wieder auf. US-Botschafter Morris Busby hatte in seinem Applaus für die Regierung gleich einen guten Ratschlag parat: „Der Tod von Pablo Escobar und die Zerschlagung des Kartells von Medellin sind große Erfolge für Kolumbien. Aber jetzt muß es gegen das Kartell von Cali gehen.“ Militärisch, versteht sich.
Doch dieser Ansatz der Drogenbekämpfung stößt bei den Kolumbianern zunehmend auf Ablehnung, zumindest bei Intellektuellen. Die Presse ist voller ätzender Kommentare. So höhnte der Kolumnist Jorge Child im renommierten Espectador: „Die Show muß weitergehen: ihr (die Kolumbianer) stellt die Toten und destabilisiert euren Staat, und wir (die USA) unterstützen die Bemühungen der Regierungen, weitere Drogenbosse dingfest zu machen.“
Differenzen mit den USA
Der von den USA verordneten Kombination der militärischen (gegen die Mafia) und chemischen (gegen die Pflanzungen) Drogenbekämpfung versucht Präsident César Gaviria einmal mehr eine Verhandlungslösung entgegenzusetzen, die schon im Falle Pablo Escobar verheerend fehlgeschlagen ist. Die Bosse des jetzt bedeutendsten Kartells von Cali, die Brüder Rodriguez Orejuela, versuchen über ihre Anwälte die Bedingungen für ihre freiwillige Auslieferung auszuhandeln. Gaviria hatte vor zwei Jahren per Dekret das in Lateinamerika unübliche System des plea-bargaining aus der US-Strafverfahrenspraxis übernommen. Das bedeutet: Ein Angeklagter, dem das vermutete Hauptverbrechen nicht nachgewiesen werden kann, erklärt sich minderer Vergehen für schuldig und kommt dafür mit geringeren Strafen davon. Nach deren Absitzen kann er mit sauberer Weste in die Gesellschaft zurückkehren.
Edgar Saavedra Rojas, einer der Richter am Obersten Gerichtshof in Bogotá, ist gegen diese Politik: „Die lassen sich weißwaschen, um dann den Handel in Ruhe fortsetzen zu können.“ Er sieht einen anderen Ausweg: er ist einer der prominentesten Verfechter einer schrittweisen Legalisierung des Drogenhandels – „in Abstimmung mit anderen Ländern, versteht sich“. Die Debatte über eine Entkriminalisierung des Drogengeschäfts in Kolumbien ist nicht neu. Schon in den siebziger Jahren, als die Modedroge Kokain in Kolumbien nur eine Randerscheinung war, diskutierte man Wege, den Marihuanahandel einzudämmen.
Die Drogenszene und die mit ihr zusammenhängende Gewalt war damals weitgehend auf die Cannabisgebiete an der Atlantikküste beschränkt, obwohl Experten in den USA schon seit 1969 den Aufbau eines Kokainnetzes in Kolumbien geortet haben wollen.
Eine alte Debatte
„In der Diskussion ging es damals in erster Linie um die Legalisierung des Konsums in Koordination mit den Konsumentenländern“, erinnert sich der argentinische Völkerrechtsprofessor Juan Gabriel Tokatlian, Direktor des Zentrums für Internationale Beziehungen an der Andenuniversität in Bogotá. Man argumentierte damit, daß die Marihuanaproduktion von selbst zurückgehen würde, wenn die hohen Gewinnspannen zusammenschrumpften.
Einer der prominentesten Befürworter einer Liberalisierung war damals der junge Unternehmer Ernesto Samper, der sich im kommenden Mai als Kandidat der Liberalen Partei um die Nachfolge von Gaviria bewirbt. Doch spätestens 1989, als Präsidentschaftskandidat Luis Carlos Galan den Kugeln eines Mörders im Auftrag des Medellin-Kartells zum Opfer fiel und der Staat den Fehdehandschuh aufgriff, hatte jede Alternative zum offenen Krieg schlechte Karten. Drogenhändler – es ging längst um Kokain – wurden von der Armee gejagt und, wenn sie überlebten, an die USA ausgeliefert. „Lieber ein Grab in Kolumbien als ein Kerker in den USA“, hieß die Devise der Gejagten.
Die Politik der UNO
Das Damoklesschwert der Auslieferung war denn auch Grundlage für die Politik des 1990 gewählten Präsidenten Gaviria, der einen Prozeß im eigenen Lande, Strafverminderung und privilegierte Haftbedingungen anbot, um der Drogenbosse Herr zu werden. Pablo Escobar stellte sich – aber, wie sich nach seiner Flucht herausstellen sollte, einzig mit dem Ziel, aus der Sicherheit seines Luxusgefängnisses in Envigado sein Unternehmen in aller Ruhe weiterzubetreiben.
„Mit Banditen kann man keine Geschäfte machen“, meint der Oberste Richter Saavedra Rojas, der das Scheitern der Verhandlungspolitik und der offenen Repression gleichermaßen mitverfolgt hat: „Seit 27 Jahren unterdrücke ich den Drogenhandel, aber statt zurückzugehen, nimmt er einen immer größeren Umfang an.“ Mit seiner Haltung für eine Legalisierung steht er im Obersten Gerichtshof noch allein da, „aber unter den Richtern der unteren Instanzen sind viele meiner Meinung“. Das weltweit als Drogennation stigmatisierte Kolumbien kann einen derartigen Vorstoß schwerlich allein initiieren. „Der geeignete Rahmen wären die Vereinten Nationen“, gibt Edgar Saavedra zu. Doch die haben sich mit der Wiener Drogenkonvention von 1988 für Jahre hinaus auf einen konservativen Kurs festgelegt.
Richter Saavedra hat der Wiener Konvention, die Produzenten, Verarbeitende, Großhändler, Kleintransporteure und Konsumenten gleichermaßen kriminalisiert, mehrere kritische Aufsätze gewidmet. Man dürfe die sogenannten Mulis – Männer und Frauen, die kleine Mengen Kokain oder Heroin im Gepäck oder in den Eingeweiden in die Konsumentenländer schaffen – und die Konsumenten nicht mit den Mafiosi in einen Topf werfen: „Diese Leute brauchen unsere Hilfe und keine Strafe.“ Ein Kilo 90prozentig reines Kokain dürfte bei normalen Handelsspannen nicht mehr als 2.000 US-Dollar kosten, rechnet er vor, „die Endverbraucher müssen aber heute für einen Verschnitt von 30 Prozent 30.000 bis 40.000 Dollar hinlegen. Diese phantastische Spanne ist einzig der Illegalität zu verdanken.“
Tabu Entkriminalisierung
Die schrittweise Entkriminalisierung hat zwar in Kolumbien inzwischen prominente Fürsprecher, doch für die meisten Politiker ist das Thema tabu, weil es international und in der Bevölkerung nicht populär ist. Generalstaatsanwalt Gustavo de Greiff, der Ende November andeutete, daß eine teilweise Legalisierung des Handels eher zum Erfolg führen würde als die Repression, wurde von Präsident Gaviria sofort öffentlich zurückgepfiffen, obwohl er kurz darauf von Joycelyn Elders, der Chefin der US-Bundesgesundheitsbehörde, unerwartete Schützenhilfe erhielt.
Bis ein weltweites Umdenken in Sachen Drogenbekämpfung einsetzt, müssen kleinere Brötchen gebacken werden. Richter Saavedra wäre schon froh, wenn die Industriestaaten wahr machen würden, was Präsident George Bush im Dezember 1989 versprochen hatte: „Wir werden den Fluß der für die Drogenerzeugung notwendigen chemischen Substanzen aus den USA stoppen.“ Der Export einschlägiger Chemikalien aus den USA, Deutschland, der Schweiz und Japan sei leichter zu kontrollieren als der Strom von Drogen in den Norden, erklärt Saavedra.
Auch der Strom der Dollars ist leichter unter Kontrolle zu bekommen. Kürzlich wurde in den USA ein Kolumbianer mit nicht weniger als 17 Paketen mit Dollarscheinen erwischt. Aber während die USA alle lateinamerikanischen Länder zur Aufhebung des Bankgeheimnisses und zu Ursprungskontrollen hoher Bareinlagen drängten, erlebte der Finanzplatz Miami einen gewaltigen Boom, weil dort die Geldwäsche auf weniger Hindernisse stößt als im Süden.
Doch nach Ansicht der Staaten des Nordens hat die Drogenbekämpfung im Süden stattzufinden. Während Gaviria mit den Chefs des Cali-Kartells verhandelt, kündigte die US-Botschaft an, daß „auf Antrag der kolumbianischen Regierung“ demnächst 150 US- Soldaten für ein Jahr zum Bau von Straßen und Schulen eingesetzt würden. Stationiert werden sollen sie ausgerechnet im Cauca-Tal, knapp 75 km nordwestlich von Cali. Der Bürgermeister von Tulua, dessen Gemeinde mitten im Einsatzgebiet liegt, fürchtet das Schlimmste: „Die Guerilla könnte im Namen der nationalen Souveränität die ausländischen Truppen überfallen. Damit würden sie eine massive Truppenintervention provozieren, und die Region von Cali würde zu einem neuen Vietnam werden.“ Auch wenn diese apokalyptische Vision reichlich überzogen scheint, so wird doch auf absehbare Zeit im Drogenkrieg Kolumbien weiterhin die Toten stellen.
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