: Wer profitiert, ist eine andere Frage
■ betr.: „Die Welt nach Gatt...“, taz vom 15.12.93
[...] Daß vom neuen Gatt-Abkommen „vor allem Schwellenländer profitieren“ werden, kann so pauschal nur behaupten, wer wirtschaftliches „Wachstum“ (gemessen zum Beispiel am Bruttosozialprodukt) verwechselt mit allgemeinem Wohlstand (...). Abgesehen davon, daß das erwartete Wirtschaftswachstum mit einem enorm steigenden Rohstoff- und Energieverbrauch samt den entsprechenden ökologisch verheerenden Folgen einhergehen wird (die Atom- Industrie wird sich freuen), sind auch die verheerenden sozialen Folgen solcher „Entwicklung“ längst an Ländern wie zum Beispiel Brasilien zu studieren (was auch in den Gatt-Artikeln vom 17.12., S. 3 wenig deutlich wurde):
Während Brasilien Wirtschaftsmacht wurde, sind dort die Armen immer ärmer geworden. 1960-80 stieg in diesem Zusammenhang der Anteil der zehn Prozent Reichsten am Gesamteinkommen von 39 Prozent auf 51 Prozent. Der Anteil der 50 Prozent Ärmsten am Einkommen fiel von 17 Prozent auf zwölf Prozent. Der Anteil der 20 Prozent Ärmsten am Einkommen fiel von 3,9 Prozent auf 2,8 Prozent.
Dagegen hatte zum Beispiel Sri Lanka zu der Zeit zwar (pro Kopf gerechnet) ein wesentlich niedrigeres Bruttosozialprodukt, aber zugleich eine geringere Säuglingssterblichkeit, eine niedrigere Analphabetenquote und eine insgesamt höhere Lebenserwartung als Brasilien.
Industrialisierung (in den Jahren der Militärdiktatur besonders forciert) und rücksichtsloser Binnen- und Weltmarkt haben in Brasilien wie auch in anderen Ländern außerdem zu Landflucht, zu einer exportorientierten bzw. nur einer Minderheit nützenden Produktion und zu einer noch größeren Verarmung vieler Menschen geführt. So wird zum Beispiel der größte Teil der Sojaernte Brasiliens als Tierfutter exportiert (zum Beispiel nach Europa). Gleichzeitig gehört in Brasilien für mehrere Millionen Menschen Hunger zum Alltag – so wie etwa das von Konzernen wie BASF mit Quecksilber verseuchte Grundwasser.
Länder wie Brasilien sind ein günstiger Wirtschaftsstandort. Wer davon profitiert ist eine andere Frage. Bernhard Wagner, Göttingen
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