: Völkermord im Regenwald
Die Bambuti-Pygmäen von Zaire leben noch heute in rechtloser Sklaverei ■ Von François Misser
Als die beiden katholischen Missionare Padre Burgos und Doscita Van der Ven im Dschungel des zentralafrikanischen Zaire ankamen, hatten sie bereits reiche Tropenerfahrungen hinter sich. Schon früher bei den Indiobauern Ecuadors hatten sie, der Spanier und die Holländerin, Befreiungstheologie verbreitet und die Überzeugung erlangt, Mission habe auch etwas mit Solidarität im Kampf um Menschenwürde zu tun. Nach zehn Jahren Arbeit im Dorf Imbau, mitten im Ituri-Tropenwald des zairischen Hochlands, gehen die beiden jetzt an die Öffentlichkeit, um von der „stillen Agonie“ der 50.000 Bambuti-Pygmäen dieser kaum erschlossenen Region zu erzählen.
1982, zu Beginn der Mission, waren die Bambutis für den damals noch fest im Sattel sitzenden Diktator von Zaire, Mobutu, einfach nicht da. Sie hatten kaum Personalausweise und damit keine bürgerliche Existenz, fast keiner von ihnen konnte lesen oder schreiben, Lepra und Tuberkulose wüteten trotz der Bemühungen der wenigen Gesundheitszentren. Die Pygmäen waren genau das Gegenteil der „Herren des Urwalds“, als die sie zu Zeiten der ersten europäischen Dschungelreisen beschrieben wurden.
Die meisten anderen Völker drumherum — allgemein als „Bantu“ bezeichnet — haben die Pygmäen, die kleinwüchsiger sind und ausschließlich vom Wald leben, nie als menschliche Wesen angesehen. Man nennt sie, sagt Schwester Doscita, nyamas — Tiere. Nur als gewandte Jäger wurden sie anerkannt — was einigen von ihnen einst in der zairischen Armee Posten als Feldaufklärer bescherte. Beim Kongreß der zairischen Staatspartei „Revolutionäre Volksbewegung“ im Jahr 1984 durfte sogar ein Pygmäe die Schlußrede halten. Aber mehr als marginal ist das nicht. Außerdem brechen die wenigen sozial aufgestiegenen Pygmäen die Brücken zu ihren im Wald verbliebenen Familien, die zumeist als Eigentum ihrer Bantu-Nachbarn gelten, völlig ab.
„Das Schlimmste“, fährt Doscita fort, „ist, daß viele Bambuti- Pygmäen sich nicht einmal mehr selber als würdige, gleichberechtigte Menschen ansehen. Sie haben ihren Stolz verloren. Als wir uns für sie interessierten, waren sie daher völlig überrascht.“ Nach einer Weile, erzählt sie, habe sich dennoch ein Vertrauensverhältnis hergestellt, das den Missionaren die ganze ausbeuterische Dimension des Bambuti-Alltags erschloß.
Wurzeln klauben aus den Feldern der „Meister“
Wenn sie nicht im Wald auf der Jagd sind, leben die Bambuti-Pygmäen auf den Bantu-Feldern hinter den Hütten ihrer „Besitzer“, die sie als regelrechte Sklaven betrachten. Diese Bauern regeln das Leben „ihrer“ Bambutis bis ins kleinste Detail: Sogar vor einer Heirat werden sie um Erlaubnis gefragt. Aus den Feldern ihrer „Meister“ dürfen die Pygmäen zwar einige Maniokwurzeln klauben — aber im Gegenzug müssen sie große Mengen an Wild abgeben. Neuerdings müssen sie auch harte Trägerdienste leisten, da viele auswärtige Goldsucher in die Flußtäler gezogen sind und die einheimischen Bauern mit diesen einen schwunghaften Handel treiben. Als Bezahlung erhalten die Träger vielleicht ein paar Flaschen minderwertigen Alkohols.
Wenn die Bambuti-Sklaven aus irgendeinem Grund die von ihren „Herren“ gesetzten Regeln brechen, ist die Rache schrecklich. Pater Burgos hat der Gerechtigkeitskommission der zairischen Kirche von einem Pygmäen berichtet, dessen gefesselte und malträtierte Leiche im Haus eines Dorfchefs gefunden wurde — er hatte eine Flasche Wein gestohlen. Wenn es Streit gibt, sind die Pygmäen zumeist die Verlierer und müssen in Naturalien bezahlen, um die Bantus zu besänftigen. In der Praxis heißt das, mit Kind und Kegel zurück in den Dschungel zu gehen, in der Hoffnung auf Jagdbeute — auch wenn die Kinder eigentlich die von den Missionaren eingerichteten Schulen besuchen.
Als eines der eigentümlichsten Zeichen der Entfremdung werten die Missionare, daß die Bambutis zwecks symbolischer Schmiedung von Allianzen mit ihren „Herren“ Beschneidungsriten eingeführt haben, die es in der Pygmäentradition eigentlich nicht gibt. Das bei solchen Festen von den Bantus verteilte bangui, ein lokales alkoholisches Getränk, dient dann dazu, die Pygmäen in Abhängigkeit zu halten und ihre Stellung als billige Arbeitskraft zu festigen, erklärt ein zairischer Verwaltungsbeamter: Die Feste dauern mehrere Tage, die Bambutis müssen für ihre „Herren“ singen und tanzen und haben keine Zeit, irgend etwas anderes zu machen. Die Missionare erzählen: Auf dem mühsamen Rückweg von einer solchen Beschneidungszeremonie starben 16 Bambuti-Kinder, da sie die ganze Zeit nichts zu essen bekommen hatten.
Die kirchliche Gerechtigkeitskommission berichtet darüber hinaus von Vergewaltigungen und Folterungen. Auch die seit 1991 anhaltende Wirtschaftskrise habe schwere Konsequenzen: Medikamente und Impfstoffe sind nicht mehr erhältlich, so daß Rougeole- Epidemien — für Kleinkinder tödlich — und Tuberkulose sich ausbreiten. Die Missionare haben ihre Impfprogramme einstellen müssen und fürchten jetzt die verheerenden Wirkungen von Aids.
Inzwischen läßt sich die soziale Entwicklung der Bambutis nur noch als existentielle Verzweiflung und Selbstzerstörung beschreiben. Sie versuchen nicht, den Verhältnissen durch Auswanderung zu entkommen, sondern scheinen regelrecht zur eigenen Auslöschung entschlossen. Die Missionare berichten von Männern, die ihre schwangeren Frauen auf die Bäuche schlagen, bis der Fötus abtreibt, oder die ihre Bananenbäume fällen — als ob sie von ihrem Elend nichts mehr hinterlassen wollten.
Einige wenige Bemühungen gibt es, um die Lage doch noch zu verbessern. Die Diözese Wamba und das Kommissariat der gleichnamigen Subregion schlossen im Mai 1993 ein Abkommen, wonach Bambutis sich im Falle von Konflikten mit ihren „Herren“ an Missionsstellen wenden dürfen. Über die Imbau-Missionsstation sind etwa 2.000 Personalausweise an Bambutis verteilt worden — damit bekommen sie eine legale Existenz und können gegen Übergriffe Klage erheben. Etwa 350 Bambuti-Kinder gehen zur Schule. Aber all diese Programme erreichen insgesamt nur fünf Prozent des Bambuti-Volkes.
Vor einigen Jahren hatte Mobutu den Pygmäen in einer Rede seine Achtung erwiesen. Er nannte sie die „ersten Bürger“ Zaires, deren Anwesenheit auf dem Staatsgebiet älter sei als die aller anderen Zairer und die daher die gleichen Rechte genössen. Aber tatsächlich sind Zaires „erste Bürger“ die letzten der Gesellschaft, von keiner der vielen politischen Bewegungen angesprochen und ohne menschenwürdige Existenz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen