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Großmaul Brüggemann schweigt

■ Anklage im Millionen-Betrugsprozeß verlesen

In der Handballszene ist er als Großmaul verschrieen, doch was sich mancher Kontrahent auf dem Sportparkett vergeblich gewünscht haben mag, trifft nun im Gerichtssaal der Großen Strafkammer ein: Volker Brüggemann schweigt. Zum Vorwurf des Millionen-Betruges im Zusammenhang mit Warentermingeschäften seiner Firma „Contracta Rohstoffhandel“ wollte sich der Ex-„Mäzen“ des TuS Walle gestern nicht äußern, ebenso verweigerte sein Adlatus Hans Wilhelm („Eddi“) Birr, Walles Ex-„Manager“, die Aussage – da „nicht zu ahnen“ sei, wo der Tatvorwurf eigentlich liege, begründete dies Birrs Anwalt.

Trotz einer nicht abreißenden Flut von Anträgen der Verteidiger konnte die Staatsanwaltschaft gestern darstellen, wo der Tatvorwurf aus ihrer Sicht liegt: Am gestrigen dritten Verhandlungstag zur Verlesung der dreißigseitigen Anklage gegen Brüggemann, Birr und zwei weitere Angestellte der „Contracta“ , was fast eineinhalb Stunden in Anspruch nahm. Fast 19 Millionen Mark Schaden sollen die vier Männer seit 1985 mit betrügerischen Warentermingeschäften verursacht haben. Mit falschen Versprechungen und heruntergespielten Risiken sollen börsenunerfahrene Kunden massiv telefonisch zu Warentermingeschäften verleitet worden sein. „Marktanalysen“, die nie angestellt wurden, sollten der Schlüssel zum Erfolg sein, ordentlich erstellte „Plazierungslisten“ nie plazierter Gelder den Anschein der Seriosität erwecken. Und die Kunden verloren schon mal 52.000 Mark in einer Woche.

Der Löwenanteil von 13,7 Millionen Mark geht aus dem Betrug an einem schleswig-holsteinischen Molkereibesitzer hervor, der gegen Brüggemann bereits erfolgreich prozessiert hat. Rund 579.000 Mark sollen die Männer dadurch erschwindelt haben, daß sie von vorneherein sehr viel mehr als die vertraglich vereinbarten 45 Prozent des Kunden-Einsatzes einbehielten. Und Brüggemann und Birr allein sollen in den Jahren –86 und –87 insgesamt 2,3 Millionen Mark überhaupt nicht an der Börse plaziert, sondern „für eine Sponsorentätigkeit des TuS Walle“ verwendet haben. Der heutige Erstligist Walle machte sich zu der Zeit auf den Weg von der Nordseeliga zu Deutschlands erstem Profi-Verein im Frauenhandball.

Brüggemann, so die Staatsanwaltschaft, sei dabei der „faktische Geschäftsführer“ der „Contracta“ gewesen und stets „vollständig über alle Geschäfte informiert“ gewesen, der offizielle Geschäftsführer Eddi Birr als „Trader“ für die ordnungsgemäße Plazierung des Geldes an den Rohstoffbörsen verantwortlich. Die Anklage wird durch den Vorwurf des zu spät angemeldeten Konkurses bei offensichtlicher Zahlungsunfähigkeit der „Contracta“ abgerundet.

Während Brüggemann und Birr schweigen und ihre Anwälte jede sich bietenden Gelegenheit nutzen, um den Prozeß zu verzögern, wollen die beiden Mitangeklagten am kommenden Montag aussagen. Neben der Mittäterschaft als Telefonverkäufer wird einem von ihnen vorgeworfen, die Unterschrift Birrs auf einem von einem Kunden als Sicherheit verlangten Wechsel gefälscht zu haben. skai

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