Straßenbahnen beschossen

■ Erneut Schüsse auf öffentliche Verkehrsmittel / Langeweile oder Vandalismus? / BVG: Keine Gefahr für Mitfahrer / Straßenbahnfahrer aber sollen auf weit abgelegenen Strecken in separaten Kabinen sitzen

Wieder ist in Berlin ein Straßenbahnzug der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) massiv beschossen worden. Zwei Scheiben einer Straßenbahn der Linie 61, die zwischen Johannisthal und Rahnsdorf verkehrt, sind am vergangenen Montag durch Einschüsse mit einem Gasdruckgewehr zerstört worden. Der Vorfall ereignete sich an der Dammbrücke/ Ecke Lindenstraße in Köpenick. Glücklicherweise fuhren keine Fahrgäste mit der Bahn, so daß niemand verletzt wurde.

Kurz nach vier Uhr nachmittags konnten Polizeibeamte noch am selben Tag die beiden 21jährigen Schützen festnehmen, nachdem sie vom Straßenbahnfahrer wiedererkannt worden waren. Seit Anfang November vergangenen Jahres gibt es eine Häufung derartiger Vorkommnisse.

So waren bereits am Abend des 3. November 1993 die Wagen einer Straßenbahn in Marzahn von Unbekannten mit einem Kleinkalibergewehr beschossen worden. Dabei war der 32jährige Straßenbahnfahrer durch Glassplitter am Hals verletzt worden und mußte mit einem Schock ins Krankenhaus eingeliefert werden. Eine knappe Woche später, am 8. November, wurden auf dem Betriebshof der BVG an zwei weiteren Zügen Beschädigungen durch Schüsse aus einem Luftgewehr festgestellt.

Vermutlich ebenfalls mit einer Lufdruckwaffe wurde in der Nacht zum 18. November ein Bus der Linie 328 in der Swinemünder Straße in Wedding beschossen. Damals bemerkte der BVG-Angestellte erst nach seiner Route die durchlöcherten Scheiben im Unterdeck seines Omnibusses.

Die unter Beschuß geratene BVG sieht in der Häufung derartiger Vorfälle kein erhöhtes Sicherheitsrisiko für die Fahrgäste. Wie Friedrich Jacobs, der Lichtenberger Hauptabteilungsleiter der BVG für den Bereich Straßenbahnen, gestern gegenüber der taz erklärte, habe man bereits vor zwei Jahren mit dem Einbau von Notrufanlagen auf die im allgemeinen etwas angespannte Sicherheitssituation reagiert. „Trotz dieser Vorfälle ist es in den letzten Wochen nicht schlimmer geworden, und die Fahrgäste brauchen sich keine Sorgen zu machen“, sagte Friedrich Jacobs. „Es wird sich bei solchen Tätern schon rumsprechen, daß die Polizei auf Grund der eingebauten Notrufanlagen zukünftig sehr schnell vor Ort sein wird.“ Um die Straßenbahnfahrer besser zu schützen, werden auf abgelegenen Streckenabschnitten künftig Wagen mit separaten Fahrerkabinen eingesetzt.

Die mit der Schießwut auf Einrichtungen der Berliner Verkehrsbetriebe konfrontierten Psychologen sind vorerst noch ratlos. Zu den Straßenbahnattacken fällt ihnen allenfalls „Vandalismus“ in moderner Form oder „politisch gefärbte Störungen“ ein. Brita Jarczyk, Diplom-Psychologin an der Technischen Universität Berlin, ist der Auffassung, daß die Aufmerksamkeit, die solche Vorfälle in der Presse erfahren, „das Unerwünschte zur Mode machen könnten“. Es erinnere ja nicht zuletzt an den die Polizei seit Monaten an der Nase herumführenden Erpresser, der inzwischen schon ein klein wenig Robin-Hood-Charakter habe, womit er wiederum als „toller Kerl“ Vorbildcharakter für bestimmte junge Leute erhalte und somit gesellschaftsfähig werde, erklärte die Psychologin weiter. Peter Lerch