„Ein Knallkopf mit 13 Mio. Wählern“

■ Bremer Osteuropa-Experte warnt vor Wladimir Schirinowski und vor deutscher Hysterie

„Man muß Wladimir Schirinowski sehr ernst nehmen. Wer 13 Millionen Stimmen auf sich vereinigt, der ist keine Eintagsfliege. Seine Wählerschaft aus Arbeitern, Sicherheitskräften und Intelligenzlern ist eine sehr gefährliche und ausbaufähige Mischung.“

So bewertet der Bremer Geschichtsprofessor und Osteuropaexperte Wolfgang Eichwede den Wahlsieg des Rechtsextremen Wladimir Schirinowski in Rußland. Während der Wahl und Ende Dezember war Eichwede in Moskau, um die Wahlen zu beobachten und zu analysieren. Dort hat er auch mit dem ehemaligen Generalsekretär der KPdSU, Michail Gorbatschow, über Schirinowski diskutiert. „Dort ist die Meinung: Die russische Politik wird schwieriger, aber der unbeherrschte Schirinowski ist beherrschbar.“

„In Deutschland neigen wir dazu, Rußland in Schreckensbildern wahrzunehmen. erst war es die Angst vor Rußlands Stärke, dann vor seiner Schwäche und jetzt herrscht die Angst vor einem neuem Nationalismus,“ meint Eichwede. Bei einem politisch deutlich geschwächten Präsidenten Jelzin sei die Akzeptanz für die Reformen in der Bevölkerung stark zurückgegangen. „Diese Desorientierung bringt Schirinowski auf den Punkt. Er ist in hohem Maße unkalkulierbar, zeigt eine Verwilderung der politischen Sitten und beweist zumindest in seinem Vokabular eine deutliche Nähe zum Faschismus.“ Schirinowskis Aufstieg ist für den Osteuropaexperten verbunden mit der „sozialen Kälte der Reformen in Rußland“. Man könne nicht gleichzeitig Demokratie und Markt einführen und nur auf die Gewinner des Marktes setzen: „In den letzten 23 Monaten sind die Preise um das 150fache gestiegen, die Löhne nur um das 50fache.“ Man müsse Schirinowski als Faktor in der russischen Politik zur Kenntnis nehmen, aber bei den nächsten Präsidentenwahlen laufe „nicht alles unheilvoll auf ihn hinaus“, meint Eichwede.

Das sehen Wladimir Schirinowskis deutsche Freunde von der rechtsextremen DVU ganz anders. In einem Interview mit der „Deutschen National-Zeitung“ des DVU-Vorsitzenden Gerhard Frey geben sie ihm „große Chancen, auch die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen.“ Marion Blohm von der Bremer DVU-Bürgerschaftsgruppe gratulierte ihrem „Freund und Kameraden“ Wladimir Schirinowski zum Wahlerfolg und brüstete sich mit „besten Beziehungen“ der DVU zu dem russischen Nationalisten. Prompt bekam Blohm Post von Bürgerschaftspräsident Dieter Klink: der bezog sich auf die Drohungen Schirinowskis gegen Deutschland, dem letzte Woche ein Einreisevisum verweigert worden war. „Die Äußerungen dieses russischen Rechtsradikalen haben in Deutschland Entsetzen und Empörung hervorgerufen“, schrieb Klink. „Die Beziehungen, die Sie zu Herrn Schirinowski haben, enthüllen in welchem politischen Fahrwasser die DVU schwimmt.“

Der „verehrte Wladimir Schirinowski“ gibt sich im Interviwe mit der „National-Zeitung“ extrem deutschfreundlich: „Der liebe Gott hat uns, dessen bin ich ganz sicher, zu Freunden bestimmt. Deutsche und Russen sind Freunde für immer.“ Schirinowski verspricht „ewigen Frieden für Mitteleuropa“, allerdings auf Kosten von Polens Existenz: „Ist es denn ein Verbrechen, wenn wir die Lösung der ostpreußischen Frage im deutschen Sinne ansteuern und die Oder-Neiße-Linie nicht als das letzte Wort der Weltgeschichte ansehen?“

Ja, sagt Wolfgang Eichwede, das wäre ein Verbrechen. „Deutschland braucht ein gutes und enges Verhältnis zu Rußland, aber das kann nie auf Kosten der kleineren Staaten zwischen Deutschland und Rußland geschehen. Wer eine deutsch-russische Allianz will, der hebelt die Nachkriegsordnung in Europa aus und propagiert den Kriegin Europa.“

Mit dem Titel „Russen-Hitler“ will Eichwede Schirinowski nicht belegen. Ein Unterschied zwischen Schirinowskis Liberaldemokratischer Partei und den Nationalsozialisten ist für ihn die – noch – fehlende Basis der russischen Extremisten in den Machtzentren von Wirtschaft und Verwaltung. „Wenn es Schirinowski schafft, sich in diesen Kreisen mit seinem Ruf nach einer harten Bekämpfung des Verbrechens als Ordnungsmacht zu etablieren, dann wird er wirklich gefährlich.“ Notwendig für den Erfolg der Reformen sei die Berücksichtigung sozialer Nöte, eine Integration der Verwaltung in die Reformen und westliche Hilfe bei wirtschaftlichen Investitionen und Schaffung von Arbeitsplätzen. „Ein Knallkopf ist keine Katastrophe“, meint Eichwede über Schirinowski, „aber er kann zur Katastrophe werden, wenn ihm 20 Millionen Menschen ihr Vertrauen schenken.“ Bernhard Pötter