Fuck the neighbours

■ "The Snapper" - Stephen Frears hat eine Filmkomödie über Glück und Unglück außerehelicher Schwangerschaften im irischen Kleinbürgeralltag gedreht

Als Hanif Kureishis Film „My Beautiful Laundrette“ bei einer Pressevorführung kritisiert wurde, wollte Kureishis Kollege Stephen Frears die Kritiker am liebsten aus dem Saal werfen. Der Film sei schließlich fürs Fernsehen gemacht worden, hielt er ihnen vor, und nicht fürs Kino. Roberto Rossellini hätte in diesem Moment heftig widersprechen können. So sagte der große italienische Regisseur einmal, daß es künstlerisch keinen Unterschied mache, ob man für das Fernsehen oder das Kino arbeite: „Die Filme müssen gut sein, das ist alles.“

Den Beweis für diese Worte hat Frears nun selbst erbracht. Sein eigener Film „The Snapper“ ist nämlich ebenfalls ein Fernsehfilm. Nachdem er jedoch im Nebenprogramm bei den Filmfestspielen in Cannes im vergangenen Jahr mit Ovationen gefeiert wurde, verkaufte die für die Produktion verantwortliche BBC den Streifen als Kinofilm in die ganze Welt. In Dublin lief er zwischen Weihnachten und Neujahr im Doppelprogramm mit den „Commitments“ vor ausverkauften Häusern, obwohl beide Filme bereits im Fernsehen gezeigt wurden und für ein paar Mark in Videotheken ausgeliehen werden können.

„The Snapper“ ist zwar die Fortsetzung der „Commitments“, aber dennoch ein völlig anderer Film – nicht nur, weil Alan Parkers „Commitments“ von vornherein als Kinofilm gedreht wurde. Der „Snapper“ ist intimer und persönlicher, er kommt etwas leiser daher. Wie die „Commitments“, so spielt auch „Snapper“ in dem fiktiven Dubliner Arbeiterviertel Barrytown. Im Gegensatz zur Romantrilogie von Roddy Doyle – Teil drei heißt „The Van“ und wird wohl demnächst verfilmt – ist keine der Figuren aus den „Commitments“ in den Personenreigen von „Snapper“ übernommen worden.

Im Mittelpunkt steht diesmal die katholische Familie Curley. Als die 20jährige Tochter Sharon, eins von sechs Curley-Kindern, schwanger wird, sind die Eltern zunächst schockiert – zumal Sharon den Namen des Vaters keinesfalls preisgeben will. Schließlich ringen sie sich jedoch dazu durch, die Tatsachen zu akzeptieren und die Tochter zu unterstützen. „Fuck the neighbours“ – „Zur Hölle mit den Nachbarn“, sagt Vater Dessie, ohne selbst so ganz davon überzeugt zu sein. In die oberflächliche Ruhe bricht dann die Nachricht ein, daß Sharon angeblich von George Burgess, einem Saufkumpan des Vaters und Fußballtrainer ihres Bruders, geschwängert worden ist. Als dieser Hals über Kopf seine Familie verläßt, ist der Skandal perfekt – auch wenn Sharon bei ihrer Behauptung bleibt, daß es sich bei dem Vater ihres Kindes um einen spanischen Matrosen handeln würde, dessen Namen sie jedoch vergessen habe. Als der „Schnapper“, um den es in dem Film geht, zum Schluß schließlich geboren wird, entsteht der – vielleicht trügerische – Anschein, daß die Welt in Barrytown wieder in Ordnung ist.

Die Geschichte, die zwischen dem Familienleben der Curleys, der Welt Sharons und ihrer Freundinnen sowie der manchmal bedrohlich engen Barrytown-Gemeinschaft hin- und herpendelt, ist zwar banal, aber höchst amüsant erzählt. Großen Anteil daran haben Colm Meany, der die Rolle des Vaters geradezu genial spielt, und Tina Kellegher als Sharon. In dem Film stimmt jedes Detail: das enge Reihenhaus mit dünnen Wänden in einem Arbeiterviertel, wie es Dutzende davon in Dublin gibt; der Sonntagsausflug der Eltern, die zwar ans Meer fahren, jedoch nicht aus dem Auto aussteigen; der Vater, der sich ein Frauenbuch über Geburten kauft und an der Kasse verlegen und ungefragt erklärt, das Buch sei für seine Frau; und selbst „Famine“ (Hungersnot), der Hund, der immer wieder die Gespräche unterbricht, weil ihm jemand die Hintertür öffnen muß, weil der winzige Garten seine Toilette ist. Roddy Doyle, der bis vor kurzem noch Lehrer an einer Schule in Kilbarrack, dem Vorbild für Barrytown, gewesen ist, hat vor allem die Sprache genau getroffen: für Außenstehende bedrohlich und oft roh, im Kern jedoch durchaus herzlich. Es ist schwer vorstellbar, daß der Film in synchronisierter Fassung seine Kraft und seinen Humor in vollem Umfang beibehält.

Natürlich kann man Roddy Doyle, der das Drehbuch selbst geschrieben hat, vorwerfen, daß er ein allzu rosiges Bild vom Leben in einem Dubliner Arbeiterviertel malt: Arbeitslosigkeit, Drogenprobleme, Alkoholismus und steigende Lebensmittelpreise spielen in „Snapper“ kaum eine Rolle. Auch ist es höchst unwahrscheinlich, daß alle Beteiligten letztendlich liebenswerte Charaktere sind – selbst der fette Burgess, der Sharon zehn Pfund „für ein paar Süßigkeiten“ zusteckt, als sie ihn mit der Schwangerschaft konfrontiert, fordert am Ende eher Mitleid heraus.

Doch es kommt Roddy Doyle gar nicht auf höhere literarische Weihen an. „Der Postmodernismus ist tot“, sagt Doyles irischer Schriftstellerkollege Joe O'Connor. „Die Leute wollen Geschichten. Das ist einer der Gründe, warum das US-Kino immer so beliebt war.“ O'Connor sagt, daß er im vergangenen Sommer in New York überall junge Leute mit T-Shirts gesehen hat, auf die „Ask me bollix“ aufgedruckt war – ein Satz aus den „Commitments“. „In einer Welt, die immer noch vom amerikanischen Kulturimperialismus dominiert ist, war das wie eine Art linguistischer Sieg“, sagt O'Connor.

Doyle, dessen „Commitments“ ursprünglich von den englischen Verlagen abgelehnt wurde, hat sich inzwischen auf seine Weise gerächt: Im Oktober gewann er mit seinem neuen Buch als erster irischer Schriftsteller den begehrten Booker-Preis. „Paddy Clarke Ha Ha Ha“ handelt von einer Kindheit im Dublin der fünfziger Jahre. Die Preisvergabe illustrierte, daß es der irischen Literatur zur Zeit blendend geht, während die englische in einer tiefen Krise steckt. Der bekannte englische Literaturkritiker Auberon Waugh wetterte, daß man den Booker-Preis abschaffen sollte, wenn er ohnehin nur an Ausländer verliehen würde. „Das ist, als ob man Cricket abschaffen würde, weil die Engländer darin so schlecht sind“, antwortete Joe O'Connor. Ralf Sotscheck

„The Snapper“. Regie: Stephen Frears, mit Tina Kellegher, Colm Meany u.a.; Irland 1993.